094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
den Schankraum betreten, doch die Männer ließen es nicht zu. Sie schoben sich sanft, aber bestimmt an ihr vorbei. Peer Makselv nahmen sie mit. Vorsichtig, auf alle erdenklichen Überraschungen vorbereitet, drangen sie in das Innere des Gebäudes vor. Dielen knarrten unter ihren Schuhen.
Außerhalb der Todeswolke herrschte wegen der nördlichen Lage der Insel düsteres, unwirkliches Licht, obwohl es erst früher Nachmittag war. Durch die Nebelschwaden wurde das Sonnenlicht noch zusätzlich gedämpft. Im Wirtshaus war es stockfinster.
Abi und Yoshi tasteten sich voran. Coco schloß auf. Es herrschte nach wie vor bedrückende Stille. „Hört ihr?" sagte der Däne mit einem Mal.
„Nein, nichts", gab Hideyoshi Hojo leise zurück.
„Ich habe ein Geräusch vernommen. Schien von draußen zu kommen. Warte! Ich sehe mal nach."
Er ließ Peer Makselv los, schritt am Tresen vorüber und suchte an der gegenüberliegenden Seite des Raumes nach einem Ausgang. Tatsächlich entdeckte er eine Tür. Sie quietschte in rostigen Angeln, als er sie aufzog.
„Nur einen Moment!" sagte der Lappe bettelnd. „Nur einen winzigen Augenblick, damit ich einen Blick hinter den Tresen werfen kann!"
Er benahm sich wie ein ungezogenes Kind am Arm der Mutter. Yoshi gab schließlich nach. Eilends zog sich der alte Lappe hinter den Tresen zurück. Es war erstaunlich, wie gut er sich dort zurechtfand. Coco und der Japaner nahmen undeutlich wahr, wie er Flaschen aus einem Regal zog und ihren Inhalt prüfte.
Draußen stieß Abi Flindt einen überraschten Ruf aus. Sofort liefen auch Coco und Yoshi ins Freie. Vor der Rückwand des Hauses trafen sie den Freund an. Kommentarlos wies er auf die Mauersteine. Sie sahen sieben napfartige Vertiefungen, jede größer als eine Faust. In den Aushöhlungen stand dunkle Flüssigkeit, die eigentlich hätte ausfließen müssen, aber doch wie erstarrt in den Löchern haftete.
„Das ist Blut", erklärte Abi.
Coco streckte ihre präparierte rechte Hand nach dem ihr am nächsten gelegenen Näpfchen aus.
Doch bevor sie es erreichte, hörte sie aus dem Wirtshaus Gepolter.
Rasch kehrte sie in die Schankstube zurück. Sie bekamen nur noch mit, wie sich der Alte mit der Flasche unter dem Arm durch die Vordertür davonstahl. Abi Flindt wollte ihm nacheilen, Yoshi hielt ihn am Arm zurück.
„Laß ihn! So wichtig ist er nicht mehr. Wir haben alle Informationen aus ihm herausgeholt."
„Was machen wir nun?" fragte der Däne.
Coco machte eine Handbewegung zum Hausinneren hin. „Suchen wir diesen Eike Gynt. Vielleicht kann er mit weiteren Hinweisen dienen."
Sie forschten systematisch überall in dem Bau nach ihm, entdeckten jedoch nirgendwo eine Menschenseele. Schließlich kehrten sie zu den sieben Näpfchen in der Außenmauer zurück.
Yoshi streckte plötzlich seine Hand aus. „Dort drüben liegt etwas! Sehen wir nach, was es ist."
Er hatte sich wirklich nicht getäuscht. Keine zwanzig Meter entfernt zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt auf dem Boden ab. Als sie näher kamen, stellten sie fest, daß es sich um einen Mann handelte; und als sie sich über ihn beugten, waren sie nahezu sicher, den bereits vorher im Randbereich der Wolke beobachteten Hundebesitzer vor sich zu haben: Eike Gynt.
Er lag reglos da und gab kein Lebenszeichen von sich. Sein Leib und sein Gesicht wirkten schlaff, ausgelaugt, trocken. Die Freunde brauchten ihn nicht zu untersuchen; rasch hatten sie herausgefunden, daß sie eine absolut blutleere Leiche vor sich hatten.
„Hier können wir nichts mehr ausrichten. Wir kommen nur weiter, wenn wir in den eigentlichen Ort vordringen", schlußfolgerte Abi Flindt.
Er erhob sich, Hideyoshi Hojo folgte seinem Beispiel. Sie zogen Coco fort, die mit einem Ausdruck stummen Entsetzens auf das eingefallene Gesicht des Toten herabblickte.
Schon nach wenigen Metern tauchten neue Häusersilhouetten wie gespenstische Formationen vor ihnen aus den weißlichen Schwaden auf. Diesmal war es der Japaner, der eine Wand mit sieben gefüllten Näpfchen entdeckte.
Abi Flindt wollte mit einem Finger in ein Loch stechen. Coco hinderte ihn daran.
„Ich habe mir überlegt, daß das Folgen haben könnte", sagte sie. „Unterlassen wir lieber solche Experimente."
„Wenn du meinst… "
Sie zogen weiter und passierten ein farbloses Ortsschild mit der Aufschrift TINGVOLL. Fast stolperten sie über eine auf dem Rücken liegende Gestalt. Die Unterarme ragten empor, die Hände waren in eigenartiger Haltung
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