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0941 - Das unheile London

0941 - Das unheile London

Titel: 0941 - Das unheile London
Autoren: Adrian Doyle
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geschämt, dass er hochprozentigen Alkohol seitdem nur noch in winzigsten Dosen zu sich nahm.
    Die Pillen, die er sich eingeworfen hatte, waren aber auch von einem Kaliber, das ihn zweifeln ließ, dass diese Art von Kurzzeit-Fluchten aus seinem beschissenen Alltag ein Weg waren, den er weiter verfolgen sollte.
    Wann hatte er die Letzte geschluckt?
    Verdammt, er wusste es nicht. Dazu hätte er wissen müssen, wann dieser Traum, in dem er sich verheddert hatte, stattfand!
    »Wollt Ihr mir Gesellschaft leisten und mich begleiten?«
    Er zögerte, nickte dann und fragte: »Wohin?«
    Sie lachte gurrend wie eine junge wilde Taube. »Ach, Ihr und Eure Scherze! Kommt einfach!«
    Sie glaubte, er spiele ihr seine Unwissenheit nur vor.
    Gleich wache ich auf, dachte er bedauernd. Denn plötzlich wollte er unbedingt wissen, was die Menschenmassen mobilisierte.
    Ein Park, der immer noch nicht wieder wie der Hyde Park aussah, den er wie seine Westentasche kannte. Sonnenschein. Wärme. Und überall Menschen - Männer, Frauen, Kinder und Alte -, die einem gemeinsamen Ziel zueilten.
    Ausgelassen packte ihn die Frau mit der Porzellanmaske am Arm und zog ihn mit sich. Er leistete keinen Widerstand. Wieder erfasste ihn eine noch nie verspürte Erregung.
    Lag es an der Unbekannten, die trotz ihrer Hässlichkeit das Feuer in seinen Lenden schürte - oder an dem rätselhaften Grund, der all diese Leute in Bewegung gesetzt hatte?
    Wenig später erreichten sie den von Dutzenden Bäumen umsäumten und beschatteten Hinrichtungsplatz, und viele der in Lance Eisenhuth angestauten Fragen beantworteten sich plötzlich wie von selbst.
    ***
    Das makabre Spektakel hatte bereits begonnen. Der Delinquent erhielt Gelegenheit für letzte Worte.
    Lance fröstelte, als er den gebrochenen Blick des stammelnden Mannes sah, der sich selbst über die Köpfe der Zuschauermenge hinweg tief in seine Augen einbrannte - so als sähe der zum Tode Verurteilte tatsächlich nur zu ihm herüber.
    Die Szene schien wieder einem Film entliehen - beziehungsweise die Kulisse eines solchen zu sein.
    Doch Lance hatte aus seinem Fehler Lehren gezogen. Er glaubte nicht mehr an die Inszenierungs-Version. Das hier war grausame Realität - zumindest, solange es sich nicht letztlich doch noch selbst als Teil eines Traums entlarvte.
    »Lady…«
    Lance tippte die Frau mit der Maske an. Sie drehte das Gesicht zu ihm.
    Auch andere starrten Lance an. Seine »Verkleidung« erregte Aufsehen. Die Art von Mode, die er trug, war hier offensichtlich unbekannt und hinterließ Eindruck. Nur der verängstigte Galgenstrick auf dem Podest, der von einem Henker und dessen Gehilfen flankiert wurde, zog noch mehr Blicke auf sich.
    »Ja?«
    »Was hat der Mann getan?«
    »Vergewaltigt und gemordet. Ich dachte, Ihr wüsstet, wer heute stranguliert werden soll…«
    Lance schüttelte den Kopf. Er bebte. Er wollte das nicht sehen, aber immer wieder fand sein Blick den Weg nach vorne, und immer wieder hatte es den Anschein, als würde er vom Blick des Delinquenten gepackt.
    Hilf - mir! , schienen der Anzugträger zu flehen. Ich bin unschuldig!
    Verrückt.
    Lance versuchte, sich dagegen abzuschotten.
    »Und er wurde sicher überführt?«
    »Würde er sonst hängen müssen?«
    Lance blinzelte. Hatte gerade die Maske oder die Frau dahinter zu ihm gesprochen? Für einen Moment war ihm so gewesen, als hätten sich die aus Porzellan modellierten Lippen bewegt.
    Drei Sekunden später wurde dem Delinquenten das Wort abgeschnitten.
    Die Henker schritten zur Tat. Gleich würde sich die Falltür unter den Füßen des Mannes mit den auf dem Rücken gefesselten Händen und dem Strick um den Hals öffnen.
    Doch noch, bevor der Hebel umgelegt wurde, fingen plötzlich die umstehenden Bäume an, sich zu verändern.
    Ihre Rinde schien von einer zweiten Borke überwuchert zu werden, ihre Äste dehnten sich und griffen nach der Zuschauermenge.
    Die Hand des Henkers löste den Falltürmechanismus eher aus Schreck über das Geschehen aus.
    Der Delinquent verlor den festen Boden unter den Füßen. Aber bevor er qualvoll sein Leben aushauchte, nahm er noch ein Bild mit, das ihm Genugtuung sein musste, sagte es ihm doch, dass er den schweren Weg nicht allein beschreiten musste.
    Er hatte Leidensgenossen zuhauf.
    Männer, Frauen, Kinder und Alte.
    Und auch Lance Eisenhuth blieb nicht verschont. Er starb in elend fremder Zeit, aufgespießt von etwas, das nur wie ein Ast aussah und das in Wahrheit von ganz tief unten, aus dem Bauch der
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