0942 - Die blutige Lucy
noch keine Lust hatten, nach Hause zu gehen.
War jemand gekommen? Hatte das Gefühl sie gewarnt?
Lucy konnte nichts erkennen, aber sie blieb wachsam, als sie den Fahrstuhl betrat.
Auch Doring war das Verhalten der Frau aufgefallen. Etwas fahrig strich er über das rechte Revers seines Smokings hinweg und schüttelte leicht den Kopf. »Ist etwas passiert?«
»Nein, nein.«
»Sie sahen nur so verändert aus.«
»Das mag schon sein. Ich hatte einfach das Gefühl, einen Bekannten gesehen zu haben, aber ich habe mich wohl geirrt. Er ist mir nicht über den Weg gelaufen.«
»Manchmal irrt man sich eben.«
Sie fuhren hoch. Leise Musik umschmeichelte sie. Doring lächelte, als er die Frau anschaute. Er hoffte, daß die Verhandlungen klappten, um sich anschließend noch den privaten Dingen widmen zu können, denn Lucy war eine verdammt attraktive Frau. Und dieses rote Kleid umwallte sie wie eine enge Flutwelle, wobei die Brüste hochgeschoben waren und Appetit auf mehr machten.
»Ich brauche die Leute dringend«, sagte Doring, als sie noch fuhren.
»Das weiß ich.«
»Sie können die Männer besorgen?«
»Ja.«
»Gut.«
In der vorletzten Etage stiegen sie aus und glitten hinein in eine wunderbare Ruhe, zu der auch das Licht paßte. Es sickerte aus den Lampen, die in der Decke befestigt waren, und es fing sich in einem schallschluckenden lindgrünen Teppich, mit dem der Boden ausgelegt worden war.
Die Tür zur Suite war breit. Doring öffnete sie und ließ seiner Begleiterin den Vortritt.
Sie trat über die Schwelle hinweg, ging auch weiter, dann blieb sie stehen, denn plötzlich hatte sie das Gefühl, weggeschwemmt zu werden. Erinnerungen tauchten auf, wurden zu Bildern, und plötzlich stand die alte Zeit wieder vor ihren Augen.
Die Vergangenheit, die blutige Vergangenheit…
***
Bill und ich hatten noch einen Parkplatz vor dem Hotel gefunden. Jemand wollte uns dort zwar wegscheuchen, aber der Knabe sah dann meinen Ausweis und erlaubte das Parken.
Das Hotel gehörte zur Luxusklasse. Es war weltbekannt. Der Adel, die großen Stars, die Wirtschaftsmagnaten übernachteten hier ebenso wie zahlungskräftige Kurzurlauber. Für meinen Geldbeutel war das nichts, ich durfte aber trotzdem beeindruckt sein von der hellen Fassade und dem warmen Licht in der Halle, die wir durch eine Drehtür betraten.
Wegen unserer Kleidung kriegten wir keine Minderwertigkeitskomplexe und gingen dorthin, wo mehrere kleine Bars aufgebaut waren. Sie alle waren umlagert, denn die meisten Gäste hatten den großen Saal verlassen und waren erst jetzt richtig ins Gespräch gekommen.
»Wir wissen viel«, sagte ich, als ich neben einer Säule stehenblieb. »Aber wir wissen trotzdem zu wenig.«
»Was meinst du damit?«
»Wir wissen zum Beispiel nicht, wie Lucy Tarlington aussieht. Oder ist es dir bekannt?«
»Nein, John.«
»Eben.«
»Wir brauchen nur zu fragen. Ich denke schon, daß sie hier in dieser Gesellschaft bekannt ist. Da kennt doch jeder jeden. Die ist klein, und man trifft sich immer wieder.«
»Okay, hören wir uns mal um.«
Hunger hatten wir beide und waren froh, daß wir an einem Stand tatsächlich eine heiße Bockwurst bekamen. Das erinnerte mich an Germany, und ich dachte daran, wie nahe Europa schon zusammengewachsen war.
Wir aßen, tranken ein Bier dazu, schauten uns um und entdeckten zahlreiche bekannte Gesichter, die ich nur aus Zeitungen und TV-Magazinen kannte.
Bei Bill war das anders. Er kam in dieser VIP-Welt beruflich herum. Hin und wieder mußte er jemand begrüßen, sprach auch mal mit dem einen oder der anderen und war froh, daß man ihm etwas Zeit ließ, um die Wurst zu essen.
»Da du hier viele Personen kennst, Bill, solltest du dich mal nach Lucy Tarlington erkundigen.«
Er rieb seine Hände an einer Serviette ab. »Das werde ich auch tun. Einen Moment noch.« Bill schaute wie ein Geier auf der Suche nach Beute und hatte seine bald gefunden. Eine ältere Dame, behängt mit Schmuck und eingehüllt in eine sauteure Pelzjacke erhob sich aus einem Sessel, um einen Weinstand anzusteuern.
»Kennst du die?« fragte ich Bill, weil mir sein Blick aufgefallen war.
»Klar.«
»Wer ist es?«
»Lady Agathe, eine reiche Witwe, die jeden kennt - ab einem gewissen Einkommen.«
»Kennt sie auch dich?«
»Ich habe mal über sie geschrieben.«
»Dann ist sie ideal.«
»Das denke ich auch.«
»Schmeiß dich ran!« sagte ich grinsend.
Bill verdrehte die Augen, als er auf die Lady zuging. Sehr bald aber
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