0942 - Die blutige Lucy
wollte sie nicht hören.
Und dann nahm ihn die Dunkelheit auf, als wollte sie ihn nie mehr loslassen.
Zurück blieb Lucy Tarlington.
Allein und verzweifelt, aber gierig nach Blut…
***
Und diese Gier steigerte sich. Auch wenn sie es versucht hätte, es wäre ihr nicht gelungen, gegen diesen irrsinnigen Drang anzukämpfen. Sie brauchte die Nahrung, sie konnte nicht ohne sie bleiben, sie würde austrocknen, zwar nicht sterben, aber die Kraft würde sie irgendwann verlassen. Deshalb mußte sie das Blut trinken.
In der Dunkelheit raffte sich Lucy auf. Sie lag noch immer vor der Treppe. Die Tür stand weit offen, und so torkelte sie wieder zurück in das Haus.
Sie lebte jetzt allein darin. Ihre Verwandten hatten alles im Stich gelassen. Aber sie würde nicht lange allein bleiben. Menschenleer war die Gegend nicht.
Noch vor Mitternacht machte sich Lucy auf den Weg, um ihren Blutdurst zu stillen.
Einen Plan hatte sie sich noch nicht zurechtgelegt. Sie wollte aber vor Anbruch des Tages ihren Drang gestillt haben, und Lucy war sicher, daß es ihr auch gelang.
Zwar stand ihr Haus einsam, aber nicht zu einsam. Wenn sie einige Meilen nach Norden wanderte, erreichte sie einen kleinen Ort, zu dem auch ein kleiner Hafen gehörte. Er reichte den Menschen, die als Fischer ihr Geld verdienten und deren kleine Häuser landeinwärts einen Halbkreis um den Hafen herum bildeten.
Sehr früh schon, vor Tagesanbruch fuhren die Männer mit ihren Booten hinaus aufs Meer. Dann ließen sie die Familien zurück. Frauen und Kinder, wehrlose Geschöpfe in den Häusern und Betten.
Beute für Lucy!
Sie ging schneller, als sie daran dachte. Das Blut lockte. Es war einfach wunderbar, und sie spürte die Kälte ebensowenig, wie den Wind. Der Drang nach Blut trieb sie voran, und sie schrie vor Freude auf, als sie die Schatten der Hütten unter sich liegen sah.
Im Ort war es still. Nichts rührte sich. Die Menschen schliefen. Kein Licht brannte. Niemand würde Lucy entdecken, wenn sie durch die wenigen Gassen schlich.
Einen schmalen Pfad, der sich schlangenähnlich in die Tiefe wand, lief sie hinab. Der Wind wurde hier unten durch Felsen und Buschwerk etwas gebremst. Das Meer lag jetzt in der Nähe. Sie hörte das Rauschen des Wassers, aber sie nahm keine Stimmen wahr. Alles blieb still, genau wie Lucy es sich wünschte.
Als sie das erste Haus erreichte, blieb sie an der Rückseite stehen. Ihre Füße hatten das zähe Strandgras zusammengedrückt, und sie entdeckte auch ein kleines Fenster in Augenhöhe.
Lucy schaute durch das Viereck.
Hätte jemand von der Innenseite gegen die Scheibe geschaut, er hätte dort ein verzerrtes Frauengesicht entdeckt mit weit aufgerissenen Augen, in denen die kalte Gier stand.
Sie sah nichts, aber sie nahm den Geruch der Menschen auf. Ja, sie roch die Schlafenden, über die sie bald herfallen würde, um ihnen das Blut auszusaugen.
Etwas lenkte sie ab.
Sofort duckte sich Lucy, als wollte sie in den Boden hineinkriechen. Das Geräusch hatte sie sehr schnell erkannt, es war das Knarren einer Tür gewesen.
Aber wo?
Lucy lief um das Haus herum und hörte das laute Husten eines Mannes, danach einen Fluch und Schritte, die sich entfernten. Lucy traute sich jetzt weiter vor. Ihren Plan hatte sie bereits geändert.
Wenn ein Opfer von selbst das Haus verlassen hatte, brauchte sie nicht hineinzugehen. Um so besser für sie.
Die Untote blieb dem Mann auf den Fersen. Sie sah in der Dunkelheit sehr gut und konnte die Gestalt erkennen, die in Richtung Hafen ging, wo die Boote lagen.
Lucy wußte Bescheid. Dieser Mann war ein Fischer, er ging zum Hafen, und wiederum änderte sie ihren Plan. Den neuen fand sie so gut, daß sie beinahe gejubelt hätte, aber sie mußte sich zusammenreißen und durfte vor allen Dingen nicht zu früh entdeckt werden.
Die nächsten Minuten vergingen wie im Flug, und sie waren für Lucy Tarlington sehr erfolgreich, denn sie hatte erkannt, welches Boot dem Fischer gehörte.
Es war das letzte in der langen Reihe. Der Mann war an Bord gegangen und hatte die Kerzen oder das Öl in der alten Sturmlaterne entzündet, die am Mast hing.
Er ging noch einmal von Bord und strich dabei so dicht an Lucy vorbei, daß sie nach ihm hätte greifen können. Es fiel ihr sehr schwer, dies nicht zu tun und nur hinter den hohen Kisten hocken zu bleiben, denn ihr Gefühl sagte ihr, daß die Zeit noch nicht reif war.
Sie wartete, bis der Fischer weit genug gegangen war und sie sicher sein konnte, nicht
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