0943 - Das Vampir-Phantom
Mehr sagte ich nicht. Ich wußte aber, welche Gedanken meinen Chef quälten. Wenn es tatsächlich zutraf, dann mußte es einem Blutsauger gelungen sein, hier in diesen abgeriegelten Bau einzudringen. Eigentlich so gut wie unmöglich, aber mir ging die Szene aus dem Hotelzimmer nicht aus dem Kopf. Wir hatten es hier mit keinem normalen Vampir zu tun, sondern mit einem Vampir-Phantom. Wie es dazu gekommen war, ich wußte es nicht. Da grübelte ich, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Er war feinstofflich, es gab keine Hindernisse für ihn. Er war ein Vampirgeist, der natürlich auch entstanden sein mußte, wobei sich die Frage stellte, wie er es geschafft hatte.
Uns war wieder eine Tür geöffnet worden, hinter der der eigentliche Zellentrakt lag. Ich kannte mich hier aus. Der Rumäne war in der zweitletzten Zelle untergebracht worden, die noch eine altmodische Gittertür hatte. Eine Videoüberwachung war in der U-Haft nicht erlaubt.
Es konnte Einbildung sein, aber mir kam die Ruhe zwischen den Wänden doch sehr bedrückend vor.
Der Eindruck, daß etwas passiert war, verdichtete sich bei mir mit jedem Schritt, auch die Gesichter meiner Begleiter waren gespannt.
Ich hatte die Führung übernommen und blieb stehen, als die Stille von ungewöhnlichen Geräuschen unterbrochen wurde. Es hätten auch Tierlaute sein können, aber dieses Keuchen und Grunzen kannte ich ebenfalls von bestimmten Wesen.
»Er lebt!« flüsterte ich Sir James zu.
»Das scheint mir auch so zu sein.«
Suko zog seine Waffe. Er gab mir Rückendeckung, als ich die letzten Schritte ging. Die Tür lag auf der linken Seite, ich sah bereits das Schimmern der dunklen Gitterstäbe - und auch die weißen Flecken, die sie in einer bestimmten Höhe umklammert hielten.
Zwei Schritte später erkannte ich sie.
Es waren Hände.
Und sie gehörten dem toten Radonescu, der gar nicht mehr so tot aussah, denn er war zu einem Vampir geworden…
***
Nicht nur ich blieb stehen, auch Sir James und Suko gingen keinen Schritt weiter. Wir starrten die Gestalt an, die ihren menschlichen Körper zwar nicht verloren hatte, bei der sich jedoch die Veränderung im Gesicht abzeichnete.
Auch wenn uns die Gitterstäbe einen Teil der Sicht nahmen, so reichte sie aus, sich ein Urteil bilden zu können. Die Haut hatte sich verändert. Sie war irgendwie gelblich geworden, und das lag nicht am Licht. Das Haar klebte auf dem Kopf. Auf der linken Seite des Halses zeichneten sich die beiden Bißstellen wie rote Punkte ab. Aus ihnen jedoch waren die roten Fäden gelaufen, hatten den Weg am Hals entlang gefunden und waren schließlich getrocknet, so daß auf ihnen eine dünne Kruste lag, das war deutlich zu erkennen.
Er hatte uns auch gesehen. Er mußte spüren, daß sich das frische Blut in seiner Nähe befand. Die Arme zuckten, und der Griff seiner Hände verstärkte sich, als wollte er die Gitterstäbe zusammendrücken. Radonescu hatte seinen Mund weit aufgerissen, so daß sein Gesicht fast nur mehr aus Maul bestand.
Zwei Vampirzähne waren ihm gewachsen. Sie lauerten auf ihren ersten Einsatz.
Der Blutsauger war nicht ruhig. Atmen konnte und brauchte er nicht, dennoch drangen aus dem Maul Geräusche, die sich wie ein zischendes Atmen anhörten.
Er mußte auch in seiner Zelle getobt haben. Der Stuhl lag auf dem Boden, vom Bett hatte er die Decke gerissen und sie ebenfalls weggeschleudert, und den Tisch hatte er zur Seite gewuchtet, so daß er an der linken Zellenwand stand.
Auch ein Vampir hat Emotionen, dachte ich etwas ironisch, dann aber war es mit der Ironie vorbei, denn der Rumäne löste seine rechte Hand vom Stab, schob den Arm blitzartig durch die Lücke, um nach mir packen zu können.
Ich wich zurück, und der Schlag verfehlte mich. Radonescu wurde wütend, hielt sich noch mit einer Hand fest, drückte den Oberkörper zurück und fing an zu brüllen.
Suko trat neben mich. Er hielt in die Zelle hinein. »Wir können ihn mit einer Kugel packen.«
»Sicher, aber…«
»Denkst du, daß er reden wird?«
»Ich werde es versuchen.«
»Das Kreuz?«
»Womit sonst? Sein Blutdurst ist gewaltig. Die Gier nach dem ersten Opfer läßt ihn fast durchdrehen, aber er wird sich nicht gern foltern lassen, denn nichts anderes als eine Folter ist der Anblick des Kreuzes für ihn.« Das wußte Suko alles selbst. Ich erklärte es ihm trotzdem, denn ich mußte einfach meine Spannung loswerden.
Der Wiedergänger hatte sich beruhigt. Noch hielt er sich nahe des Gitters auf. Ständig
Weitere Kostenlose Bücher