0943 - Das Vampir-Phantom
weiterschob. Das Haus war jetzt wichtig für sie. Lucy wollte es genießen, sie wollte es einatmen, die Atmosphäre war bestimmt noch die gleiche geblieben, und für sie setzte sie sich aus zahlreichen Erinnerungen zusammen. Zwischen diesen Mauern steckte ein Geist, der ihr nicht fremd war. Zwar steckte er nicht in ihrem Innern, aber sie spürte ihn schon, wie er dabei war, ihr eine Botschaft zu vermitteln.
Das Haus zog sie an.
Es lockte.
Es wartete auf sie.
Ohne es richtig mitbekommen zu haben, war Lucy einige Schritte vorgegangen. Sie fühlte sich beschwingt, denn sie war wieder dort angekommen, wo alles begonnen hatte.
Der Wind wuchtete gegen ihren Körper, was Lucy weiterhin nicht störte. Sie ging ihren Weg. Die Füße schleiften über den Boden, sie hielt den Blick auf das Haus gerichtet und nicht nach unten.
Deshalb übersah sie auch einige Hindernisse, die aus dem Boden hervorragten, aber Glas machte ihr nichts.
Nicht einmal fiel sie hin. Immer wieder fing sie sich geschickt, um ihren Weg fortzusetzen. Das Ziel war so nahe, so herrlich nahe, und der Weg führte bergab, so daß sie automatisch ihre Schritte beschleunigte und dem Haus entgegeneilte, als wäre es für sie ein Liebesnest.
Das Meer lag nicht weit entfernt, Wellen schlugen gegen die Felsen oder liefen flacher aus, was mit unterschiedlich lauten Geräuschen verbunden war.
Früher hatte Lucy diese Musik geliebt, heute nahm sie das Rauschen kaum noch wahr.
Sie mußte weiter.
Schritt für Schritt ging es in die Tiefe. Die Luft war kalt, sie spürte nichts davon. In ihrer Brust schlug kein Herz, und kein Atem kondensierte vor dem Gesicht der Untoten, Lucy Tarlington blieb erst stehen, als sie die Treppe vor der Eingangstür erreicht hatte. Augenblicklich wußte sie, daß sich etwas in diesem Haus verändert hatte.
Zuerst mußte sie feststellen, daß die Tür nicht mehr vorhanden war. Man hatte sie entfernt.
Dafür lagen so seltsame Dinge an der Hauswand wie Bretter und Stangen, auch eine Schubkarre, die aufgebockt worden war und in einem Sandhaufen steckte.
Damit kam Lucy nicht zurecht. Sie wollte auch nicht länger zögern und setzte ihren rechten Fuß auf die Treppe. Die erste Stufe ließ sie locker hinter sich, die zweite folgte, dann hatte sie die Schwelle erreicht und ließ auch diese hinter sich.
Im Eingangsbereich verharrte die Blutsaugerin. Ihre Gesichtshaut zuckte, als sie sich umschaute und erkennen mußte, daß es nicht mehr ihr Haus war.
Es hatte sich etwas verändert. Jemand war dabei, es von innen her anzustreichen und zu renovieren.
An den Wänden sah sie die gleichen Bretter wie draußen, nur waren hier daraus kleine Gerüste errichtet worden. Die Decke war frisch gestrichen, in einem hellen Ton.
Lucy schüttelte den Kopf. Sie ging weiter und blieb an der Treppe stehen. Als sie die Stufen hochschaute, entdeckte sie auch an deren Ende eines dieser Gerüste.
Lucy wollte die Treppe nicht mehr hochgehen. Sie kam nicht mehr zurecht. Das war nicht mehr ihre Welt. Hier hatte sich etwas anderes gefunden, hier waren Menschen am Werk gewesen, um alles, was ihr lieb und teuer gewesen war, zu verändern.
Aber es gab noch den Keller.
Lucy drehte sich um. Auf dem Boden hatte heller Staub einen »Teppich« gebildet, in dem Lucy nicht nur ihre Fußabdrücke sah, auch die anderer zeichneten sich darin ab.
Aber kein Mensch befand sich im Haus. Die Handwerker hatten es verlassen. Nur der Geruch nach Farbe und Staub schwang noch zwischen den Wänden.
Lucy erreichte endlich die Treppe, die sie in den Keller führte, der damals der dunkelste Teil des Hauses gewesen war.
Das hatte sich auch heute nicht geändert, denn Lucy stieg Schritt für Schritt hinein in die graue Schattenwelt, und das wenige durch die Fenster fallende Licht blieb hinter ihr zurück wie die Erinnerung an die Außenwelt.
Für sie war der Keller wichtig. Damals war sie zwischen seinen Mauern aufgewacht und hatte erleben müssen, wie es war, wenn jemand die Grenze überschritten hatte.
Kein Mensch mehr.
Dafür ein Vampir.
Sie leckte ihre Lippen. Schmecken tat sie nichts, aber etwas legte sich auf ihre Zunge. Es war der Staub, der auf ihrer Zunge klebte. Irgendwo im Keller mußte etwas geschehen sein. Da hatte man den Staub aufgewirbelt, und noch hatte er sich nicht gesenkt. Er stand wie eine leicht zitternde Fahne inmitten der Finsternis, durch die Lucy glitt wie ein Schatten.
Sie kannte sich aus. Die Dunkelheit war ihr Schutz. Lucy fühlte sich gleich besser,
Weitere Kostenlose Bücher