0944 - Blutgespenster
mit dem letzten Gedanken wirklich nicht anfreunden konnte, rechnete er damit, daß dieser Laut des Jammers von einem Kind abgegeben worden war.
Er wiederholte sich nicht, und Marek sah sich plötzlich in einer Zwickmühle. Er wußte nicht, was er noch unternehmen sollte. Bleiben oder nachschauen?
Letzteres hätte nicht viel Sinn gehabt. Der Laut war zu weit entfernt aufgeklungen, aber die Stimme wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn. Und er dachte auch an die Kinder im Ort, die den Bestien schutzlos ausgeliefert waren.
Mit dem Klang der Stimme war zwar die erste Botschaft verschwunden, die zweite aber bekam er ebenfalls mit, und die hörte sich anders an. Die Gegend vor ihm, bewachsen mit lichtem Wald, blieb zwar die gleiche, aber sie hatte sich trotzdem verändert, denn die kalte und unheimliche Starre war vorbei.
In die düstere und unheimliche Atmosphäre, die ebensogut in einer anderen Dimension ihre Heimat hätte finden können, geriet Bewegung. Plötzlich waren die Schatten da. Sie blieben nicht mehr dort, wo sie sich vor kurzem noch aufgehalten hatten.
Marek hätte gern ein Nachtsichtgerät mit Restlichtverstärker zur Verfügung gehabt. Leider fiel keines vom Himmel, und so mußte er sich weiterhin auf seine Augen verlassen.
Er hatte seinen Oberkörper ein wenig in die Höhe gedrückt und sich mit den Ellenbogen auf den mit Moos bewachsenen Baumstumpf gestützt. Der Blick war nach vorn gerichtet, aber er bewegte auch die Augen und sah dann die ersten Gestalten, die sich durch die breiten Lücken zwischen den Bäumen bewegten und sich auch nicht durch irgendwelches Gestrüpp oder Unterholz aufhalten ließen, denn das stellte für sie keine Hindernisse dar. Sie durchbrachen es mit ihren Körpern, rutschten manchmal aus, konnten sich aber wieder fangen und bewegten sich weiter.
Sie waren nicht zusammengeblieben, sondern ziemlich weit auseinandergefächert. Aber Marek hatte längst erkannt, daß es für sie nur ein einziges Ziel gab.
Eben Llanfair, denn dort gab es das Blut. Da lebten die Menschen, die potentiellen Opfer, da war der Lebenssaft, der in ihre ausgetrockneten Körper rinnen sollte.
Sie kamen näher und näher. Marek duckte sich wieder. Er hatte seinen Pfahl längst gezogen, und sein Gesicht zeigte einen grimmigen und kalten Ausdruck.
Er war bereit.
Aber sie hatten ihn nicht entdeckt. Keine dieser gehenden, rutschenden und auch torkelnden Gestalten änderte die Richtung, um auf ihn zuzulaufen. Sie alle dachten nur an die Beute in den Häusern, wo sie leichtes Spiel hatten.
Marek blieb ruhig. Sein Blick war nach vorn gerichtet. Er hatte sich auch an die Dunkelheit gewöhnt, die nicht so pechschwarz war, auch wegen der zahlreichen Lücken zwischen den Bäumen.
Noch mußte er warten, obwohl er am liebsten zwischen sie gefahren wäre und unter ihnen gewütet hätte.
Sie hatten bereits seine Höhe erreicht. Es würde nicht mehr lange dauern, dann lag dieser lichte Wald hinter ihnen und der Ort direkt vor ihnen. Marek geriet in Zugzwang. Dieses Hocken hier ging ihm gegen den Strich. Er wollte etwas tun, es war nicht seine Art, Blutsauger einfach laufenzulassen, aber ein bestimmtes Geräusch lenkte ihn schon ab, und er hörte es ziemlich deutlich in seiner Nähe.
Marek drehte sich noch in der Hocke.
Seine Augen wurden groß. Und ebenso groß kam ihm der Blutsauger vor, der geradewegs auf ihn zulief. Er war eine finstere Gestalt, eingehüllt in einen Mantel, der nicht geschlossen war, sondern offenstand, dessen Schöße hin- und herschwangen. Er hielt sich zwar auf den Beinen, knickte aber sehr oft ein, rappelte sich wieder hoch, und sein Gesicht erinnerte Marek an alten Teig.
Der Pfähler stemmte sich hoch. Er hatte sich dabei am Stamm abgestützt, für einen Moment mußte er mit dem Gleichgewicht kämpfen, da der Boden unter ihm schräg abfiel.
Das nutzte der Untote.
Er, der nichts zu verlieren hatte, stieß sich aus dem Lauf heraus ab. Er wuchtete sich über den Baumstamm hinweg auf Marek zu, die Arme weit vorgestreckt, die Finger leicht gekrümmt, und er wollte ihn packen, um an das Blut zu kommen.
Wegen der schrägen und zuletzt auch rutschigen Unterlage kam Frantisek nicht so schnell weg. Das heißt, er wich überhaupt nicht aus, und so prallte die lappige, dürre, stinkende, aber höchst gefährliche Gestalt gegen ihn.
Beide flogen zurück.
Marek hatte zwar noch seinen Pfahl in die Höhe gerissen, aber die Spitze war irgendwo am Mantel abgeglitten, hatte sich dann verhakt, und so kam
Weitere Kostenlose Bücher