0944 - Die Brücke zur Anderswelt
Jeep ohne weitere Zwischenfälle bis hinunter in die Reisterrassen, in denen zahlreiche Leute arbeiteten. Nicole drängte ihn nicht zum Sprechen. Sie war sicher, dass er von alleine anfangen würde, wenn er es für richtig hielt. Bald bewegten sie sich auf schmalen, geteerten Straßen.
»Wo fahren wir hin?«, fragte Nicole nun doch. »Zuallererst müssen wir einen Rettungshubschrauber für Minamoto-san organisieren.«
»Das werden wir, Nicole. Keine Angst. Ich bin bereits auf dem Weg nach Sendai.«
»Und dann?«
»Dann werde ich das mit dem Hubschrauber erledigen und anschließend fahren wir nach Kawasaki zurück, wo wir jemanden treffen werden.«
»Treffen? Vielleicht mit der Frau, mit der zusammen Sie mich beim Kanamara Matsuri beobachtet haben? Stimmt's oder habe ich recht?«
Yuuki erwiderte nichts. Erneut musterte ihn Nicole. Er sah wesentlich älter aus als seinerzeit in Wien, wo sie ihm vor rund vier Jahren begegnet war. Zamorra und sie hatten damals die Hexe Theresia Maria von Waldstein und die Pestdämonin Labartu bekämpft. Lange hatte es so ausgesehen, als gäbe es kein Mittel gegen die dämonischen Pestbakterien, die die Menschen in der österreichischen Metropole zu Zehntausenden dahingerafft hatten.
O ja, Nicole erinnerte sich noch ganz genau an diese furchtbare Auseinandersetzung. [2] An jedes Detail. Durch Zufall waren sie auf einen infizierten japanischen Touristen gestoßen, der in einem Wiener Krankenhaus lag, den Pestbakterien aber hartnäckig widerstand - eben Yuuki Hiroshi. Denn er wurde von einem geheimnisvollen, überaus mächtigen Wesen beschützt, das sich ihnen als der japanische Glücksbringer Maneki Neko , als winkende Katze, gezeigt hatte. Nur dank der Hilfe der Maneki Neko hatten sie die Hexe schließlich besiegen können. Dabei war deutlich geworden, dass die Maneki Neko, wenn es denn tatsächlich ein weibliches Wesen war, eine ähnliche Affinität zu Merlins Stern besaß wie Nicole. Das Amulett Zamorras schien der Maneki wohl vertraut zu sein, sie hatte es Zauberauge genannt.
Seit diesen dramatischen Ereignissen war Nicole weder der Maneki Neko noch Yuuki Hiroshi je wieder begegnet. Bis vor einigen Tagen. Natürlich traf man hier in Japan praktisch in jedem Laden und auf jedem Platz, ja sogar in den Toiletten auf die Winkekatzen. Es gab sie in den verschiedensten Farben und Formen und Werkstoffen. Aber die Maneki Neko, die ihr im Garten des Theaterdirektors Ieyasu hinter dem kleinen Wasserfall als kurze Vision erschienen war, besaß eine völlig andere Qualität.
Möglicherweise hat da die echte schon mal kurz Grüß Gott gesagt. He, Nicole, ich bin wieder da, demnächst gehen wir mal zusammen einen grünen Tee trinken, aber momentan hab ich noch nicht so viel Zeit. See you.
Nicole lief es trotz ihrer scherzhaften Gedanken eiskalt über den Rücken, als sie daran dachte. Und weil nun auch Yuuki aufgetaucht war, war sie sicher, dass sie mit ihren Vermutungen nicht weit daneben lag.
»Hina«, sagte Nicole plötzlich.
Nun war es an Yuuki, erstaunt zu sein. »Sie kennen Hina? Woher?«
»Tja, ich hab eben auch meine kleinen Geheimnisse, mein lieber Yuuki. Es ist die Frau, die wir abholen, nicht?«
Mit ihrem Schuss ins Blaue landete Nicole einen Volltreffer. Yuuki sah sie nachdenklich an.
Die Maneki Neko hatte Nicole seinerzeit von Hina erzählt. Danach besaß die Japanerin ähnliche Fähigkeiten wie die Französin und schaffte es deswegen, mit der Maneki Neko in Kontakt zu treten. Nachdem Hina vom lebensbedrohlichen Zustand ihres Verlobten, der sich auf Wien-Reise befunden hatte, erfuhr, war sie in direkten Kontakt zur Winkekatze getreten und hatte ihr das Versprechen abgerungen, Yuuki zu beschützen und am Leben zu halten.
Und das ist doch ziemlich erstaunlich. Welche Beziehung besitzt diese Hina tatsächlich zur Maneki, dass sie einem derart mächtigen Wesen ein derart profanes Versprechen abquetschen kann? Na, auf das Kindchen bin ich schon mal richtig gespannt…
Als ob der Name Hina der Türöffner gewesen sei, begann Yuuki plötzlich zu reden. Nicole musste sich konzentrieren, um alles zu verstehen.
»Wissen Sie, Miss Duval, Hina ist die Liebe meines Lebens, eine wunderschöne, strahlende Kirschblüte. Wir waren bereits verlobt, als ich, wie viele meiner Landsleute es tun, zu einer mehrwöchigen Europareise aufbrach. Hina konnte leider nicht mitkommen, da ihre Arbeit am Band in der Fahrzeugzulieferindustrie es nicht erlaubte.«
Yuuki lächelte versonnen vor sich
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