0944 - Die Brücke zur Anderswelt
Visitenkarten ausgetauscht haben…
Nicole musste unwillkürlich lächeln. Visitenkarten austauschen, ha. Ich denke schon wie ein Japaner. So schnell geht das also.
Der bestellte Reiswein kam. Sie nippte ein paar Mal daran. Er schmeckte gut. Paris, ja. Als Nicole zum ersten Mal realisiert hatte, dass der Dämon CHAVACH nicht nur in ihren Träumen, sondern ganz real existierte und mordete, hatte sie unvermutet einen skurrilen »Kampfgefährten« erhalten. Ein japanischer Totengeist, ein Shinigami, war in der französischen Hauptstadt aufgetaucht und hatte ihr eröffnet, dass er von seinem Herrn, einem übergeordneten Geist, geschickt worden sei, um sie zu suchen und CHAVACH zu fangen.
Da der Shinigami nach dem Aufeinanderprallen mit CHAVACH plötzlich verschwunden war, hatte Nicole beschlossen, ihn zu suchen, um mehr über CHAVACH herauszubekommen, weil sie das Gefühl hatte, der Shinigami wisse eine Menge mehr über den mächtigen Dämon, als er zugab; seltsamerweise in seiner Heimat Japan, obwohl sie eigentlich davon ausgehen musste, dass der Shinigami weiterhin in Paris zu finden war.
Nicole alias Julie Deneuve hatte sich von Louis Landru, dem Leiter der deBlaussec-Stiftung, einen Auftrag in Japan geben lassen. Und siehe da: Hier in Tokio hatte sie nicht nur den Shinigami wieder getroffen, sondern auch CHAVACH! Es war zu neuerlichen Auseinandersetzungen mit dem schattenhaften Nebelgebilde gekommen, das sich dadurch aber nicht am Morden unschuldiger Japaner hatte hindern lassen. Zudem hatten sich Nicoles Albträume plötzlich um einige Nuancen erweitert: Sie träumte nicht nur von einer real existierenden Landbrücke, die in den Himmel der Götter führen sollte, sondern hatte auch von den japanischen Schöpfergöttern Izanagi und Izanami erfahren, die auf der Landbrücke gelebt haben sollten, und war immer wieder auf Hinweise auf die japanischen Heiligtümer Schwert, Juwel und Spiegel gestoßen.
Also, schauen wir mal, ob ich's einigermaßen logisch zusammenkriege. Logik war ja bekanntlich schon immer eine große Stärke von uns Frauen. CHAVACH, ein erstarkender Dämon, scheint ausgerechnet hinter mir her zu sein. Warum, das lassen wir jetzt einfach mal dahingestellt, ich hob nämlich keine blasse Ahnung. Auf jeden Fall hetzt mir CHAVACH immer mal wieder seinen Schatten auf den Hals, um mich ein wenig zu töten. Gleichzeitig geistert dieses Mistvieh durch meine Träume. Warum? Um mir Angst zu machen, vielleicht? Nährt sich der Schatten vielleicht sogar von meiner Angst? Will er mich gar nicht umbringen? War bei Alphonsine damals in Paris ja nicht anders. Inszeniert er die ganzen Morde nur, um mir zu zeigen, wie real er ist? Um meine Angst so zu verstärken? Hm. Das wäre nun wirklich kein schöner Gedanke…
Nicole kaute auf der ersten Sushi-Rolle herum.
Was auch immer CHAVACH von mir will, dieser übergeordnete Geist des Shinigami scheint davon zu wissen. Und er ist wohl ebenfalls ein Feind des Dämons. Wieder hm. Warum schickt mir Monsieur übergeordneter Geist ausgerechnet einen japanischen Totengeist? Und warum lotst er mich ausgerechnet nach Japan? Vielleicht, weil hier die Waffen zu finden sind, mit denen CHAVACH besiegt werden kann? Naja, eine innere Logik hat das ja irgendwie. Warum nimmt Monsieur übergeordneter Geist dann aber nicht selbst CHAVACHS Bekämpfung in die Hand? Vielleicht, weil die Waffen nur dann funktionieren, wenn ich sie einsetze? Bin ich die Komponente, die sie erst wirksam machen? Muss ich also Schwert, Juwel und Spiegel organisieren, um CHAVACH zu besiegen? Irgendetwas müssen die Träume ja zu bedeuten haben. Wobei ich mir sicher bin, dass der japanische Teil der Träume nicht von CHAVACH stammt, sondern von Monsieur übergeordneter Geist. Na ja, wo findet man solche wunderbaren Insignien von Reichs- und Weltenschöpfungen im Allgemeinen? Bei den Göttern, meine liebe Nici, ganz klar.
Womit ich wieder am Anfang wäre.
Sie seufzte leise und legte das angebissene Sushi auf den Teller zurück. Irgendwie brachte sie kaum etwas hinunter.
Das gibt's doch nicht. Da drüben ist dieser Kerl schon wieder. Der beobachtet mich tatsächlich. Merde. Und ich hab dich doch schon mal gesehen, Bürschchen!
Nicole spielte gerade mit dem Gedanken aufzustehen und ihn zur Rede zu stellen, als er wiederum verschwand. So konzentrierte sie sich weiter auf ihr eigentliches Problem.
Also, wo waren wir gerade? Ach so, ja, die japanischen Reichsinsignien. Mir wird ganz anders, wenn ich daran denke, was
Weitere Kostenlose Bücher