0944 - Die Brücke zur Anderswelt
Millionenstadt gehörte zur Metropolregion Tokio-Yokohama und grenzte mit ihren nordöstlichen Ausläufern bereits an die Tokioter Bezirke Ota und Setagaya.
Minamoto lenkte seinen Subaru in einen der ruhigeren Außenbezirke der Metropole, die im morgendlichen Verkehr fast erstickte. In einem Wohngebiet, in dem sich zwischen Büschen und Bäumen ein unscheinbarer Shinto-Schrein befand, hatten sich bereits Tausende von Leuten versammelt.
Nicole fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Ach du dickes Ei«, sagte sie. Und begann, ob des Wahrheitsgehaltes dieser Aussage, laut zu lachen.
***
18. Juli 1488, Zentraljapan
»Herr, Nakamura greift uns mit einem ganzen Heer seiner verdammten Blutsauger an!«
Daisuke Endo, der gerade in einem kleinen Schrein innerhalb seiner wunderschön angelegten, weitläufigen Gartenanlage betete, hob unwillig den Kopf und starrte dem heranrennenden Boten entgegen. Dann erhob sich der Daimyo geschmeidig von den Knien, auf denen er gerade noch geruht hatte, und schüttelte seinen weißen Kimono in Form.
»Was sagst du da, Seigo? Nakamura greift an? Ich kann es nicht glauben.«
Seigo, einer der Hofschranzen, trippelte die dreizehn Treppenstufen zum Schrein hoch und hielt keuchend vor Endo inne. Nachdem er kurz nach Luft geschnappt hatte, brachte er schließlich einige zusammenhängende Sätze hervor: »Und doch ist es so, Herr. General Okazaki hat einen Boten geschickt. Es nähert sich ein Heer mit fast tausend schwer bewaffneten Blutsaugern aus dem Reich des Bösen in eindeutiger Absicht. Denn es hat die Grenze bereits überschritten und nimmt Kurs auf unsere wunderschöne Hauptstadt Takayama. Die Grenztruppen des Generals konnten Nakamuras Heer nicht aufhalten.«
Daisuke Endo dachte nur einen Moment nach. Dann verbeugte sich der außergewöhnlich große, muskulöse Mann mit dem glatt rasierten Gesicht, den grauen Augen und dem traditionellen Haarschnitt der Samurai vor dem reich geschmückten Altar des Schreins und trabte danach an schmalen, verträumt gluckernden Bächen und felsigen, mit Bäumchen verzierten Landschaften vorbei zum Palast hinüber, dessen rote Wände und Pagodendächer durch den Bambuswald davor schimmerten. In einem der Innenhöfe des Palastes traf er seine Lebensgefährtin Miyu, die sich gerade im Schwertkampf übte. Sie war von außergewöhnlicher Schönheit, mit überaus verträumten Augen, kämpfte aber besser als viele Männer und stellte sich vor allem, wie Endo auch, furchtlos dem Bösen entgegen.
Miyu, deren makellos schöner Körper vor Schweiß glänzte und mit der er zwei Söhne und eine Tochter hatte, hielt inne und sah dem Daimyo entgegen. Sie lächelte ihn an. »Kommst du, um dich für deine letzte Niederlage im Schwertkampf gegen mich zu revanchieren, mein Geliebter? Es wäre eine schlechte Zeit für dich, denn ich bin in einer überaus guten Form.«
Endo machte ein Zeichen der Zustimmung. »Die wirst du auch brauchen, Kirschblüte. Nakamura greift uns mit geballter Macht an. Ein Heer von Vampiren nähert sich.«
Miyus Lächeln erstarb. »Wie kann er es wagen«, zischte sie und wob mit dem Schwert ein dichtes Muster in die Luft. »Ist der Kerl verrückt geworden? Er weiß doch genau, dass er uns so nicht besiegen kann. Warum tut er so etwas Verrücktes?«
»Ich weiß es nicht. Wir werden aber wohl kämpfen müssen. Ich lasse mobil machen.«
Eine Stunde später hatte sich ein Heer aus über 2000 Samurai vor den Toren Takayamas versammelt, gut ein Drittel zu Pferde, der Rest zu Fuß. Daisuke Endo hielt so viele Ritter in Lohn und Brot, damit er seine Bauern nicht kämpfen lassen musste, so wie es praktisch alle anderen Daimyos hielten. Das hatte Endo den Ruf eines überaus menschlichen Herrschers eingetragen und das war er auch, weitab von jeglicher Berechnung.
Endo trug eine weiße Rüstung und einen weißen Helm. Die Fratze seiner Gesichtsmaske fiel nicht ganz so furchterregend aus wie die anderer Samurai. Sie zeigte das angedeutete Gesicht eines alten, weisen Mannes mit einem Vollbart. Und wer genau hinschaute, sah, dass die Augenform nicht mandelförmig war, sondern jener der seltsamen weißen Langnasen aus dem Lande Europa glich, die seit einigen Jahren in Japan und China auftauchten, um Handel zu treiben. Der Daimyo kontrollierte stichprobenartig, ob die weißmagischen Abwehrzeichen auf den Rüstungen seiner Samurai korrekt ausgeführt waren, und fand dabei keinen Fehler. Einigermaßen zufrieden nickte er. Er hielt eine kurze, flammende
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