0947 - Das Voodoo-Weib
links kaum abhob. Früher waren dort einmal Türen gewesen, die fehlten heute, und was in den Löchern lag, waren nur mehr Reste, die selbst irgendwelche Stadtstreicher nicht mehr gebrauchen konnten.
Bayou tänzelte vor uns her. Er schnippte mit den Fingern der linken Hand und drehte sich ebenfalls in diese Richtung, bevor er in einem der Verschläge verschwand und uns in seiner Wohnung willkommen hieß, die wir mit eingezogenen Köpfen betraten.
»Ihr könnt euch auch setzen«, sagte er und deutete auf drei Kisten. Zwei waren für uns, eine für ihn. »Licht brauchen wir auch noch«, sagte er und zündete drei Kerzen an, die zwischen den Kisten auf dem Boden standen.
Wir saßen bereits, als er seinen Platz einnahm. Das Kerzenlicht strahlte gegen sein Gesicht, die dunkle Haut, die großen Augen und die breite Stirn. Noch dunkler als die Haut war das pechschwarze Haar. Der breite Mund fiel auf, ebenfalls die breite Nase. Die Kappe hatte er vom Kopf genommen, setzte sie aber jetzt wieder auf, mit dem Schirm nach hinten.
»Genug gesehen?« fragte er und strich noch über seinen goldenen Ohrring, der am linken Läppchen baumelte.
»Sicher«, antwortete Suko. »Wir haben ja schon einiges von dir gehört, aber längst nicht alles.«
Der Farbige zog seine Thermojacke auf. Darunter trug er einen dicken, dunklen Pullover.
»So hat das auch sein müssen«, erwiderte er. »Man muß manchmal dichthalten.«
»Aber nicht bei uns.«
»Das ist richtig.«
»Wer sind Sie, Bayou?« fragte ich.
Der dunkelhäutige Kollege lachte mich an. »Hör auf, Sinclair, sag nicht Sie zu mir. Sag einfach Bayou, das ist alles. Ich nenne dich dafür John. Man hat mir gesagt, daß wir für eine gewisse Zeit Partner sein sollen, und als Partner sollte man etwas vertrauter miteinander umgehen.«
»Okay, Bayou, kommen wir zur Sache.«
Wieder lachte er. »Du bist ein Weißer, John, und du bist ungeduldig wie alle Weißen. Du willst den Fall am liebsten in einer Stunde aufklären, aber das ist nicht drin. Wir müssen da schon anders vorgehen, mein Lieber, ganz anders.«
»Dann hast du einen Plan?«
Er ging darauf nicht ein, sondern fragte: »Was sucht ihr eigentlich, Freunde?«
»Einen Killer«, erwiderte Suko. »Einen Wiederholungstäter, der an diesem Abend schon wieder zugeschlagen hat.«
»Richtig.«
»Und du sollst uns auf seine Spur führen, nicht mehr und nicht weniger.«
Bayou gab keine Antwort. Dafür lachte er kichernd und auch glucksend.
»Was ihr euch immer vorstellt, kann so nicht klappen«, erklärte er nach einigen Sekunden.
»Ihr müßt mal eure Welt, die Welt der Weißen vergessen. Hier in Brixton ist vieles anders. Hier leben andere Menschen mit einem anderen und für viele von euch fremden Background, daran solltet ihr immer denken, denn diese Leute haben ihre Heimat nicht vergessen. Sie haben sie im Herzen bewahrt.«
»Mir kommen gleich die Tränen«, sagte ich. »Verdammt noch mal, hier geht es um einen vierfachen Mord. Vier Menschen sind auf eine rätselhafte Art und Weise ums Leben gekommen. Irgend etwas hat ihnen die Haut und das Fleisch von den Knochen gelöst. Zurückgeblieben sind ölige und bläuliche schimmernde Knochen, vereint in einem Skelett, das bei dem Angriff nicht zerstört wurde. Warum? Wie ist es dazu gekommen, selbst die Kleidung hat keine Asche hinterlassen.«
Bayou saß zurückgelehnt vor mir und spitzte seine Lippen, während er zur Decke schaute, als wollte er dort die drei Kreise des Kerzenlichts beobachten, die überlappten. Auch das Licht brachte kaum Wärme. Vor allen Dingen konnte er die Bedrückung nicht vertreiben, die sich in dieser Kaverne ausgebreitet hatte. Es war klar und klamm. Ein Lager oder eine schlichte Decke hatte ich nicht gesehen, deshalb konnte ich mir kaum vorstellen, daß Bayou hier lebte. Selbst ein Penner deckte sich mit irgend etwas zu, und wenn es nur alte Zeitungen waren.
»Gute Frage, John.«
»Bekomme ich auch eine gute Antwort?«
Bayou senkte den Kopf, so daß er uns wieder anschauen konnte. Sein Ring im Ohr tanzte dabei und gab Reflexe ab. »Es kommt darauf an, wie du zu den Dingen stehst. Damit meine ich auch dich, Suko. Ihr müßt offen sein für das Besondere.«
»Sind wir«, sagte mein Freund. »Außerdem sollte es dir bekannt sein, denn du weißt, wer wir sind.«
»Klar doch.«
»Dann müßtest du auch Vertrauen haben.«
»Nur zu wenigen Weißen«, erklärte er, »aber das macht nichts. Es gibt ja auch Ausnahmen. Ich will euch etwas erzählen.
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