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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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gewähren - nun musste er auch noch zusehen, wie eben diese Mörderin wieder auf freien Fuß gesetzt wurde!
    Mit einem lauten Rattern glitt die Tür der Zelle beiseite, in der die soeben erst inhaftierten Verbrecher oder Verdächtigen im Keller des Lyoner Hauptquartiers verwahrt wurden. Robin, der den Schlüssel noch in der Hand hielt, nickte nur.
    »Hallo, Kathryne«, sagte Zamorra im Plauderton. Das Licht der kargen Neonröhren fiel ihm auf den Kopf. »Hast du Lust auf einen kleinen Ausflug?«
    Sie standen zu viert im Flur des Zellentraktes: seine zwei jugendlichen Begleiter, Robin und er. Nun trat die junge Frau über die Schwelle ihrer Zelle - und fiel sofort dem vielleicht sechzehnjährigen Fünfkäsehoch um den Hals.
    »Hey, wa…«
    Weiter kam der Bursche nicht, denn im nächsten Augenblick verschloss Crentz ihm den Mund mit Küssen, für die sich - zumindest in Rogers Weltbild - so manche Pornoaktrice geschämt hätte.
    Roger ballte die Faust in der Hosentasche, bis seine Fingernägel in seine Handballen schnitten. Unfassbar. Absolut un-fass-bar.
    »In Ordnung, Zamorra«, sagte Robin, räusperte sich betont und sah zur Seite, als wolle er den Turteltäubchen noch mehr Privatsphäre gönnen. »Du bist am Zug.«
    Dann verschwanden sie. Ungehindert ließ Robin den zwielichtigen Mann mit dem weißen Anzug und rotem Hemd ziehen - und seine jugendlich wirkende Entourage gleich mit.
    Roger kehrte an seinen Schreibtisch zurück, ohne seinen Vorgesetzten eines Blickes zu würdigen, doch in Gedanken wich er Robin nicht von der Seite. Alles in ihm schrie danach, zum Telefon zu greifen und den Chefinspektor der obersten Dienststelle zu melden. Das… das war doch Amtsmissbrauch! Robin gewährte Personen Freiheiten, die über das Gesetz gingen, nur weil er persönlich mit ihnen befreundet war!
    Als er es nicht mehr in sich behalten konnte, stand Roger auf und klopfte an die Tür zu Robins Büro.
    »Herein«, drang eine Stimme durch das dünne Holz.
    Jenseits der Schwelle herrschte das kreative Chaos, das der Aushilfsassistent als robintypisch kennengelernt hatte. Wo auf seinem eigenen Schreibtisch Effizienz den Takt vorgab und kein Staubkorn lange unbemerkt blieb, schien der Chefinspektor eine Atmosphäre des völligen Durcheinanders zu pflegen, in dem er allein noch den Durchblick behielt. Aktenordner stapelten sich ungehindert in den Ecken, das Telefon war halb unter schon angegilbten Tageszeitungsausgaben begraben, und mit dem Sortiment benutzter Kaffeetassenbecher, die auf der rechten Seite des Tisches nebeneinanderstanden wie stumme Erinnerungen an bessere Zeiten, hätte so manche Starbucks-Filiale eine halbe Woche lang ihre Kundschaft versorgen können.
    »Roger«, grüßte Robin von seinem Platz hinter dem Chaos und blickte zu seinem Assistenten auf. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie können mir sagen, was die Scheiße soll«, antwortete Roger ungehalten. »Monsieur.«
    Die Zeit für Freundlichkeiten war vorbei. Roger kochte innerlich.
    Robin hob die Brauen, sagte aber nichts. Er schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben. Ein leises Seufzen drang aus seiner Kehle. Dann sagte er: »Manchmal muss man Vertrauen haben, Roger.«
    »Ach ja? Worauf denn? Darauf, dass die Bösen ihre Weltsicht ändern, das Morden aufgeben und von nun an nur noch Socken stricken?«
    Roger hatte nicht schreien wollen. Schreien am Arbeitsplatz! Das war unprofessionell, und er hasste nichts mehr als Unprofessionalität. Doch Robins Verhalten trieb ihn zum Äußersten.
    Der Chefinspektor blieb völlig ruhig. »Nein«, sagte er leise und fuhr sich nachdenklich über den Schnurrbart. »Sondern auf alte Freunde. Und darauf, dass der Zweck manchmal tatsächlich die Mittel heiligt.«
    Roger starrte ihn ungläubig an. »Was immer dieser Zamorra Ihnen da drin erzählt hat«, blaffte er mit vor unterdrücktem Zorn bebender Stimme und deutete in Richtung des Medienraumes, »ich hoffe bei Gott, es war es wert.« Dann hob er den Zeigefinger, wie ein tadelnder Lehrer. »Denn wenn nicht, Robin, geht der nächste Tote auf Ihre Kappe. Nicht auf die der Crentz.« Ohne auf eine Erwiderung seines Vorgesetzten zu warten, machte Roger Richter auf dem Absatz kehrt, stürmte hinaus und begann, seinen Schreibtisch zu räumen. Doch die fristlose Kündigung, mit der er so fest rechnete, blieb aus.
    Kapitel 5 - Angriff aus dem Nichts
    Die aufgehende Sonne tauchte die Seine-Metropole in ein warmes, freundliches Licht. Es spiegelte sich glitzernd auf dem ruhigen

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