0948 - Der Hort der Sha'ktanar
schob Zamorra die Kaffeetasse auf dem Tisch hin und her. »Das heißt, die Vision stammt von einem der Priester. Und da alle umgekommen sind, muss es der sein, aus dessen Sicht ich alles erlebt habe.«
»Klingt einleuchtend«, meinte Dylan.
»Findest du? Dieser Priester soll jetzt noch leben, mir plötzlich seine Lebensgeschichte als Traum unterjubeln und dir einen Hilferuf senden, dass die Quelle ermordet worden sei? Unter einleuchtend verstehe ich etwas anderes.«
»Hat einer von euch den Namen von dem Typen schon einmal gehört, der die Quelle umgebracht haben soll?«, fragte Dylan in die Runde. »Jo Steigner?«
Alle schüttelten mit dem Kopf, sogar Madame Claire.
»Und diesen anderen Begriff, den die Stimme erwähnt hat? Hort der Sha'ktanar?«
Die gleiche Reaktion. Nur Rhett runzelte die Stirn.
»Was ist, Mann?«, fragte Dylan. »Sagt dir das was?«
»Ich weiß nicht«, antwortete der Erbfolger. »Schon irgendwie, aber ich hab keinen Plan, was.«
»So kommen wir nicht weiter!« Zamorra nahm einen letzten Schluck Kaffee, dann stand er auf. »Frühstück beendet. Wollen wir doch mal sehen, ob uns etwas Recherche nicht die notwendigen Antworten liefert.«
Auch Dylan und Rhett erhoben sich und wollten ihm folgen. Da öffnete sich die Küchentür und William trat ein.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich störe, Herr Professor. In der Halle wartet Besuch auf Sie.«
»Wer ist es denn?«
»Die junge Dame, die bereits vor einigen Wochen zu Gast war. Dunja Bigelow.«
»Dunja?«
Eine weitere Unsterbliche. Was wollte sie hier? Hatte sie etwa auch eine sonderbare Nachricht empfangen? Nach ihrem fluchtartigen Abgang bei ihrer letzten Begegnung hatte der Professor nicht damit gerechnet, sie jemals wiederzusehen.
Er verließ die Küche.
Der Schrecken fuhr ihm durch die Glieder, als er der Frau gewahr wurde, die wie verloren in der Halle stand. Er hatte sie als bildhübsches Wesen Anfang zwanzig mit seidig glänzendem, schwarzem Haar, rehbraunen Augen und einer makellosen Haut in Erinnerung. Nun jedoch sah sie aus, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen und gebadet. Die tiefen Augenringe und die Blässe ließen sie zehn, wenn nicht fünfzehn Jahre älter wirken.
»Dunja!«, rief er zur Begrüßung. »Du siehst ja furchtbar aus! Was ist denn geschehen?«
»Meine Vision«, antwortete sie mit dumpfer Stimme. Aus ihrem Blick sprach Resignation. »Sie bewahrheitet sich. Ich sterbe!«
***
Nahe Vergangenheit
Jo Steigner traute seinen Augen nicht.
Andreas! Immer wieder nur dieses eine Wort hämmerte ihm ins Bewusstsein.
Andreas! Sein Sohn.
Er machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn instinktiv in die Arme schließen, doch dann schreckte er zurück. Verharrte. In Sekundenbruchteilen schossen ihm die wildesten Gedanken durch den Kopf.
Wen auch immer er da vor sich sah, es konnte unmöglich Andreas sein. Der wäre inzwischen siebenunddreißig Jahre alt. Vor ihm jedoch stand ein Teenager!
Hallo Papa , hatte er gesagt. Und er trug sogar die gleichen Klamotten wie am Tag seines Verschwindens, wenngleich sie auch deutlich abgenutzter erschienen.
Ein Dämon! Es musste sich um einen Dämon handeln.
Jo wusste nicht, was die Schwarzblüter damit bezweckten, aber etwas lag in der Luft. Der ein paar Wochen zurückliegende Angriff auf ihn und das plötzliche Auftauchen der Vampirhorde bewiesen das.
Die verschwundene Haarlocke!
Der, der vorgab, sein Sohn zu sein, war ein Gestaltwandler! Er hatte die Tolle gestohlen, um mit ihrer Hilfe Andreas' Erscheinung nachzubilden. Doch welcher Sinn sollte dahinterstecken?
Steigner konzentrierte sich auf das Armband. Egal, was die Dämonen bezweckten, er würde ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Die Tattoos auf seinem Unterarm begannen sich hektischer zu bewegen, verschlangen sich, bildeten neue Stränge aus.
»Tun Sie das bitte nicht.« Steigner nahm den zweiten Besucher erst bewusst wahr, als dieser ihn mit weicher Stimme ansprach. »Er ist tatsächlich ihr Sohn.«
»Es stimmt«, bestätigte der Junge. Andreas? »Ich bin zurück.«
Die Tätowierungen verlangsamten sich, das magische Kribbeln in Steigners Fingern ließ nach. Konnte es denn wirklich wahr sein? Er beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, allerdings ohne in seiner Alarmbereitschaft nachzulassen.
»Auf der Kommode im Wohnzimmer steht ein Bild von… dir und deiner Mutter bei den Feierlichkeiten zur Grenzöffnung. Was haltet ihr in der Hand?«
Die Antwort kam wie aus der Pistole
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