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0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach

0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach

Titel: 0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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längst nicht mehr unter den Lebenden weilte, und das zu fassen, war so gut wie unmöglich und kaum zu begreifen. Erst recht nicht für eine Frau wie Ellen Bates, die normalerweise mit beiden Beinen im Leben stand und mit dämonischen und magischen Dingen nichts am Hut hatte. Das war eben der Schock, unter dem sie litt, und sie hatte mein vollstes Verständnis.
    Sich damit abzufinden, daß ihre Tochter vorläufig verschwunden war, würde verdammt schwer für sie werden. Mit einer müden Bewegung hob sie den Kopf an, um mich anzuschauen, und sie fragte mich mit einer ebenso müden Stimme: »Was soll ich denn jetzt tun, Mr. Sinclair?«
    »So schlimm es sich auch anhört, Mrs. Bates, aber vorläufig tun sie bitte nichts.«
    Sie nickte. Sie wirkte apathisch. Ihr Blick war leer. Aber sie hatte durch das Nicken bestimmt keine Übereinstimmung demonstriert, davon ging ich ebenfalls aus. Es war nur eine leere Geste gewesen, mehr auf keinen Fall. Ellen Bates stand unter einem Schock, aber sie war noch in der Lage, nachzudenken und gewissen Vorgänge zu rekonstruieren.
    »Caroline hat meine Tochter Marion geholt. Einfach so«, sprach sie vor sich hin und hob die Schultern. »Mein Gott, warum hat sie es getan, und wo befindet sich Marion jetzt?«
    »Ich weiß es leider nicht.«
    »Sie ist zusammen mit Caroline, nicht?«
    »Das können wir annehmen.«
    Ellen räusperte sich. Die nächste Frage fiel ihr schwer. Während sie sprach, krampfte sie immer wieder die Hände zusammen und ließ sie schließlich auch geschlossen. »Glauben Sie – glauben Sie, Mr. Sinclair, daß mein Kind tot ist?«
    Ich hatte befürchtet, daß sie mich dies fragen würde, und sie erhielt von mir auch eine ehrliche Antwort. »Nein, Mrs. Bates, das glaube ich wirklich nicht.«
    »Aber wo ist sie dann?«
    »Bei Caroline.«
    »Das will ich nicht wissen, Mr. Sinclair, ich will wissen, wo sie sind, verstehen Sie? Mir ist der Gedanke gekommen, daß meine Tochter mit einer Toten gesprochen hat. Oder liege ich da falsch, Mr. Sinclair? Sie glauben doch auch, daß diese Caroline tot war, nicht?«
    »Ich kann es Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, Mrs. Bates.«
    Sie hob die Arme an und krümmte die Finger. Damit fuchtelte sie durch die Luft wie jemand, der irgendwo Halt sucht. »Aber was ist sie sonst? Wenn sie ein Geist war, dann muß sie tot sein. Nur Geister sind tot, aber ich weiß nicht mehr. Ich weiß gar nichts mehr, verdammt noch mal!« Im Sessel sitzend brach die Frau zusammen. Sie drehte sich zur Seite, vergrub das Gesicht in ihre Hände und stemmte die Ellenbogen auf die Lehne. Dann schluchzte sie in ihre Hände hinein, und ich hätte sie so gern getröstet, aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Tränen können oft erleichtern, das hoffte ich auch bei Ellen Bates, und deshalb ließ ich sie allein in ihrem Wohnraum zurück. Mich interessierte vor allen Dingen der geheimnisvolle Spiegel, den Marion von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte.
    Ja, der Vater!
    Er war die große Unbekannte, eine ungemein wichtige Größe in diesem höllischen Spiel. Zwar hatte er nicht direkt mit der Entführung seiner Tochter zu tun gehabt, nur wurde ich den Eindruck nicht los, daß er wie eine fette Spinne im Hintergrund lauerte und noch dabei war, die entsprechenden Fäden zu ziehen.
    Ein Privatgelehrter, der in einen Tempel ging und sicherlich einem geheimen Orden angehört hatte.
    Aber welchem?
    Waren es die Templer? Nicht die, zu denen Abbé Bloch und seine Brüder gehörten, sondern die Abspaltung dieser Gruppe, die dem Dämon Baphomet dienten?
    Das konnte so sein, mußte aber nicht, denn es gab sicherlich auch noch andere geheime Orden und Gruppen. Über sie las man genug in der Zeitung, da brauchte ich nur an den Massenmord der Sonnentempler zu denken, die überhaupt nichts mit denen des Abbé zu tun hatten.
    Der Gedanke an diese Gruppe gefiel mir überhaupt nicht, doch darauf kam es jetzt nicht an. Ich durfte mich nicht von Gefühlen überschütten lassen und mußte logisch und klar denken. Dazu gehörte auch die Existenz des ovalen Spiegels.
    Da das Deckenlicht noch immer brannte, konnte ich ihn genauer in Augenschein nehmen. Er hatte nichts Verbotenes an sich, abgesehen von einer tatsächlich etwas dunkleren Fläche, die allerdings völlig glatt war. Ich sah weder Risse, Ausbuchtungen, Vertiefungen noch kleine Kerben.
    Und doch war dieser Spiegel Anfang und Ende. Ich hatte nicht vor, ihn hier in der Wohnung hängen zu lassen. Wenn ich Ellen Bates darum bat,

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