0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
es sprach. Bestimmt nur seine Lippe, aber das war nicht wichtig. Mich interessierten vielmehr die Worte, die Marion sprach.
»Caroline – Caroline, bist du da…?«
Ellen und ich wußten nicht, ob diese geheimnisvolle Person da war, aber wir schraken beide zusammen, als wir Marions Stimme hörten. Hinter mir flüsterte Ellen Worte, die ich nicht verstand, aber sie behielt die Nerven und hielt sich zurück.
Es passierte nichts. Die Worte waren verklungen wie ein geheimnisvolles Echo aus dem Geisterreich. Zwar war diese gewisse Caroline gerufen worden, doch sie meldete sich nicht aus ihrer Welt.
Nichts rührte sich im und am Spiegel. Die Fläche blieb dunkel, geheimnisvoll und rätselhaft. Dennoch war ich davon überzeugt, daß dies nicht so bleiben würde. Etwas mußte einfach geschehen. Marion hatte den Namen der geheimnisvollen Freundin nicht grundlos geflüstert.
Es verging Zeit. Ich spürte erst jetzt, wie warm es in diesen vier Wänden war. Eine stickige Luft auf der einen Seite, aber auch mit einer ungewöhnlichen und mit normalen Meßgeräten nicht erfaßbaren Energie geladen. Es waren eben diese seltsamen Schwingungen, die nur von einer Kraft ausgesandt werden konnten, die jenseits unserer Sichtweite lag.
Eben in den anderen Welten, Reichen oder Dimensionen. Ich suchte so gut wie möglich jede Einzelheit des Körpers ab, denn ich wollte sehen, ob sich auch äußerlich etwas zeigte. Vielleicht eine Aura oder ein Ring, der die Konturen abzeichnete, aber da war nichts zu sehen.
Und doch gab es etwas in diesem Zimmer, das unerklärbar war.
Es stellte möglicherweise die Verbindung zwischen zwei Reichen dar, und selbst Ellen Bates merkte dies.
»Das ist alles so seltsam«, hauchte sie. »Ich komme nicht mehr zurecht, Mr. Sinclair…«
»Beiben Sie nur ruhig.«
»Das versuche ich…«
Wir schwiegen beide. Ich stand strategisch günstig. So konnte ich von meiner Position aus den Spiegel und auch die schwebende Marion Bates unter Kontrolle halten, um sofort zu reagieren, wenn sich bei einem von ihnen etwas tat.
Das war zwar nicht der Fall, aber immerhin war durch die flüsternde Stimme ein Anfang gemacht worden.
Und dann hörten wir sie wieder. Wie eine Botschaft, die zugleich einen Wunsch und einen Ruf nach Hilfe ausdrückte, wehte sie durch den Raum an unsere Ohren.
»Caroline, bitte, du darfst mich nicht im Stich lassen. Bitte!«
Diesmal hatten wir genau das Flehen verstanden. Die schwebende Marion war erregt, sie wollte endlich den Kontakt mit dieser geheimnisvollen Caroline bekommen.
Diesmal geschah es.
Aus dem linken Auge nahm ich die lautlose Bewegung wahr; sie stammte nicht von einem Menschen. Obwohl sie im Zimmer passierte, kam sie mir vor, als würde sie außerhalb ablaufen, denn sie geschah in der Spiegelfläche. Dort sah es so aus, als würde sie von der Rückseite her etwas in die Fläche hineinpressen, aber die beulte sich nicht nach vorn hin aus, auch wenn es für einen Moment den Schein gehabt hatte.
Die Fläche blieb flach. Und das, was auf ihr immer deutlicher hervortrat, erinnerte mich sehr an ein sehr naturalistisches Gemälde.
Es entstand ein Gesicht.
Ein Frauengesicht.
Dunkle Haare, eine im Gegensatz zu Marion auch dunklere Haut, obwohl sie einer Weißen gehörte. Es mochte auch an der dunklen Umgebung des Spiegels liegen, daß dieses neue Gesicht so finster wirkte. Oder waren es die Augen, die schwarz waren und zugleich in einem düsteren Rot glommen?
Ich hatte einige Vergleiche zur Auswahl und mußte mir zunächst eingestehen, daß mir das Gesicht puppenhaft vorkam. Möglicherweise erinnerte mich auch die Farbe der Haut an die einer Puppe und nicht so sehr an die eines Menschen.
Interessant war es schon, denn jetzt wußten Ellen und ich, wie diese geheimnisvolle Caroline aussah. Keine andere als sie zeigte sich in der Spiegelfläche, um ihre Freundin Marion zu begrüßen.
»Caroline…?« Diesmal schwang Hoffnung in der Frage mit. Marion schien eine Antwort erhalten zu haben. Wie sonst hätte sie ihren Körper bewegen können?
Er blieb steif, als er nach unten hin wegkippte. Bisher hatte Marion in der Waagerechten über dem Bett geschwebt. Nun war sie dabei, daraus eine senkrechte Haltung einzunehmen, und ihre Füße näherten sich immer mehr dem Bett.
Noch hatten sie die Matratze nicht erreicht und schwebten leicht darüber, doch es fehlte der allerletzte Ruck, um Marion Standfestigkeit zu geben. Plötzlich zuckte sie nach unten. Sie hatte Kontakt.
Marion stand auf
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