0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
Lieferwagen, der sich in seiner Größe von den anderen Fahrzeugen abhob.
Ich runzelte die Stirn. Meine innere Stimme, auf die oft gehört hatte, alarmierte mich. Es war leider keine konkrete Warnung, nur fiel meine allgemeine Stimmung ziemlich ab, was nichts mit einer schlechten Laune zu tun hatte, sondern einfach mit den äußeren Umständen, die mir nicht gefielen.
Lag es an diesem Lieferwagen? Oder lag es daran, daß ich im dunklen Fahrerhaus plötzlich eine Bewegung sah, die mir zuvor nicht aufgefallen war? Hinter der Scheibe bewegte sich ein Schatten, und das war kein Dämon, sondern der Umriß eines Menschen.
Dort wartete jemand.
Aber auf wen?
Ich dachte wieder an das Geräusch, das sich angehört hatte wie eine zufallende Tür. Wie eine Haustür, zum Beispiel. Eine Tür, die in das Haus einer gewissen Ellen Bates führen konnte.
Diese Vorstellung elektrisierte mich. Plötzlich war ich hellwach und stand unter Strom. Ich spürte im Nacken das Kribbeln und merkte zugleich, wie sich in meinem Magen der Klumpen bildete.
Das roch mir alles sehr nach Ärger.
Die Stille war geblieben. Nur kam sie mir nicht mehr normal vor, und ich öffnete so leise wie möglich die Fahrertür. Da die Scheiben des Rover erst halb zugefroren waren, hatte ich alles noch gut überblicken können.
Natürlich konnte man mich auch vom Lieferwagen aus sehen. Das Risiko mußte ich eingehen. Jedenfalls stand mein Plan fest. Ich wollte noch einmal zurück zu Ellen Bates.
Mit vorsichtigen und auch leisen Schritten überquerte ich die Straße. Dabei sah ich zu, in den toten Winkel des Fahrerhauses zu gelangen. Ich wollte nicht unbedingt kontrolliert werden, aber ich ließ das Fahrzeug nicht aus den Augen.
Die Türen der Ladefläche blieben geschlossen. Auch dann, als ich den Gehsteig erreicht hatte und rasch durch den Schein einer Laterne in den Schatten huschte.
Ellen Bates wohnte im Erdgeschoß. Zur Straße hin lag die Küche.
Der Wohnraum und das Zimmer der Tochter wiesen zur Rückseite hin. In der Küche brannte kein Licht, die Haustür lag ebenfalls im Schatten, und sie selbst bildete die Rückseite einer Nische.
Ich ging hinein – und hörte hinter mir jemanden.
Gesehen hatte ich zuvor niemanden, und so rechnete ich damit, daß der Fahrer den Lieferwagen verlassen hatte. Ich zog mich aus der Nische wieder zurück, um den Gehsteig zu betreten.
Ein Mann kam auf mich zu. Ob er im Fahrerhaus des Wagens gesessen hatte, wußte ich nicht. Er war winterlich gekleidet, auch die Pudelmütze auf seinem Kopf erregte zu dieser Jahreszeit keinen Verdacht. Er kam jetzt zügig auf mich zu und blieb stehen, als er mich entdeckt hatte. Er tat erschreckt, hob den Kopf, schaute mich an, so daß ich sein flaches Gesicht mit den hellen Augen sehen konnte. Von ihm selbst ging ein muffiger Geruch aus.
»Auch unterwegs?« fragte er.
»Wie Sie sehen.«
»Kalt, wie?«
»Ja.«
Er schniefte und trat zweimal mit dem rechten Fuß auf. Die Hände waren in den Taschen seiner Jacke verschwunden. »Wo wollen Sie denn um diese Zeit noch hin?«
Seine Fragen gefielen mir nicht. Sie glichen schon einem Verhör.
Ich erinnerte mich daran, daß ich den Spiegel auf meinem Weg zum Rover unter den linken Arm geklemmt hatte, einer Seite, die dem Lieferwagen abgewendet war. Weshalb mir diese Tatsache plötzlich einfiel, wußte ich nicht, sah sie aber als eine Warnung an.
»Ich finde es ja nett, daß Sie sich um andere Menschen kümmern«, sagte ich, »aber ich wüßte nicht, was Sie das angeht. Jeder kann doch hingehen, wo er will.«
»Sie wollten in das Haus, nicht?«
»Es sah so aus.«
»Jemand besuchen?«
»Und wenn es so wäre.«
»Das gefällt mir nicht.«
Nach diesen Worten wußte ich Bescheid. Ich wollte zurückspringen, aber er riß seine Hand aus der Tasche, und plötzlich sah ich das Schimmern von Waffenstahl.
Der Sprung zurück wäre absolut falsch gewesen. So wuchtete ich mich vor und hob blitzschnell den rechten Arm an.
Die Handkante raste ihm entgegen. Sie erwischte den rechten Arm, den Hals konnte ich nur schlecht treffen, da er den Kragen seiner Jacke hochgestellt hatte.
Plötzlich zuckte die Hand. Er kam nicht mehr dazu, die Waffe anzuheben und zu feuern, denn ich setzte nach, packte seinen rechten Arm und schleuderte den Körper zur anderen Seite hin, ohne den Arm loszulassen.
Ich hörte ihn keuchen. Er war wohl noch immer überrascht, hatte mich auf die leichte Schulter genommen, was sich nun rächte. Er knallte rücklings gegen die
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