0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
kalt. Die Jahreswende lag noch nicht lange zurück.
Ich hatte einige Tage frei gemacht und mich so richtig erholen können. Den Übergang ins neue Jahr hatten wir in einem Londoner Hotel gefeiert, wo die Conollys für die ganze Blase einen riesigen Tisch reserviert hatten. Es war ein tolles Fest gewesen. Sogar die Horror-Oma Sarah Goldwyn hatte bis zum Ende durchgehalten, und wir alle hatten dann den ersten Tag im neuen Jahr verschlafen.
Erst zwei Tage später hatte ich wieder mein Büro aufgesucht, alte Dinge aufgearbeitet, bis mich dann dieser Anruf erreicht hatte. Und jetzt, das wußte ich, steckte ich wieder mittendrin, wie man so schön sagt. Darüber würde sich auch Suko auf eine gewisse Art und Weise freuen, denn er kam sich sehr inaktiv vor und hatte in der Zwischenzeit einige Stunden im Fitneß-Center verbracht.
Auch das große Glatteis hatten wir gut überstanden. Danach war es wieder warm geworden, jetzt aber drückte die Kälte von Osten her, und das Hochdruckgebiet stemmte sich nicht nur gegen die Tiefs aus Richtung Westen, es hatte auch für einen sternenklaren Himmel gesorgt, der wie ein blanker Teppich über der Stadt lag.
Ellen Bates wohnte nördlich der Themse in Islington in einer kleinen Straße, die noch nicht vom Wahn des Neubaus und der schrecklichen Renovierungen verfallen war. Kleine Häuser standen dort dicht an dicht. Manche mit schmalen Vorgärten versehen, andere wiederum trafen mit den Vorderseiten direkt an den Gehsteig. Auch waren die Häuser unterschiedlich hoch gebaut worden, manche mit Flachdächern, die meisten mit Satteldächern.
Es gab auch Gassen, die zu irgendwelchen Hinterhöfen oder kleineren Grünflächen führten, das aber sah ich in dieser Nacht nicht, dazu war es trotz des sternenklaren Himmels einfach zu dunkel.
Es war nicht überall glatt, doch als Fußgänger mußte man schon die Augen aufhalten, da an schattigen Stellen Eisfallen lauerten. Gefrorene Pfützen schimmerten wie glänzende Augen. Ich überstieg sie, als ich zu meinem Wagen ging.
Für ihn hatte ich – o Wunder – einen Parkplatz gefunden. Zwar stand der Rover etwas schräg und mit einem Rad auf dem Gehsteig, erwischt worden war ich nicht. Um diese Zeit lief niemand herum, um nach Falschparkern zu suchen.
Den Spiegel hielt ich noch immer unter den linken Arm geklemmt.
Ich war froh, daß kein Wind durch die Straße pfiff, dann wäre die Kälte kaum auszuhalten gewesen, so empfand Ich die Temperatur als dem Winter angemessen.
Mittlerweile war die zweite Morgenstunde angebrochen. London, dieser Moloch, hatte dann eine ruhige Phase.
Ich war der einzige auf der Straße, umfangen von den Schatten der Häuser. Zumindest kam es mir so vor. Unangefochten erreichte ich meinen Wagen und schloß die Beifahrertür an der linken Seite auf.
Das Schloß war nicht zugefroren gewesen. Ich konnte den Wagenschlag aufziehen und legte den Spiegel mit der Fläche nach unten auf den Beifahrersitz. Zwar lag im Kofferraum eine Decke, die aber ließ ich dort liegen. Abdecken brauchte ich den Gegenstand nicht.
Ich schloß die Tür wieder und wollte um den Rover herumgehen, weil ich die Fahrertür öffnen mußte. Ich hatte ungefähr die Heckhöhe erreicht, als ich das Geräusch hörte. Ein dumpfer Schlag war es, als wäre eine Tür ins Schloß gefallen.
Ich schaute zurück.
Ellen Bates wohnte auf der anderen Straßenseite. Von dort war auch das Geräusch an meine Ohren gedrungen, aber den Grund sah ich nicht.
Mir fiel nur ein dunkler Lieferwagen auf, der nicht weit von Ellens Haus entfernt parkte. Es war ein Fahrzeug mit verbauter Ladefläche und einer Doppeltür am Heck.
War sie zugefallen?
Noch stieg ich nicht ein und reckte mich auf die Zehenspitzen, um an dem Lieferwagen vorbeischauen zu können.
Nichts zu sehen. Auch die Tür des Hauses lag im toten Winkel.
Am und im Wagen selbst rührte sich nichts.
Ich hob die Schultern und näherte mich der Fahrerseite. Dann stieg ich ein, zog die Tür zu und wollte den Schlüssel in das Schloß stecken. Er glitt hinein, ich mußte ihn umdrehen, und meine Finger berührten ihn bereits, aber die Hand war starr geworden. Ich startete nicht, sondern blieb in meiner Position hocken, wobei mir einige Gedanken durch den Kopf strömten, mit denen ich aber nicht zurechtkam, weil ich sie nicht in die richtigen Bahnen lenken konnte.
Ob der Blick in den Außenspiegel Zufall war, konnte ich auch nicht sagen. Jedenfalls schaute ich hin und entdeckte schräg gegenüber den
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