0949 - Die geronnene Zeit
ihr, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.
Aber warum nicht? Schließlich hatte die Nähe der Quelle sie aus ihrem Todesschlaf erweckt. Warum konnte sie da nicht auch Atrigor heilen?
Vielleicht muss er davon trinken!
Nein, das durfte er nicht. Merlin hatte es verboten, dass ein Zweiter das Lebenswasser empfing.
Merlin hat auch versprochen, dass der Kampf nicht auf Leben und Tod ausgetragen wird.
Sie brachte die Stimme in ihrem Hinterkopf nicht zum Schweigen. Konnte ein kleiner Schluck von der Quelle Atrigor tatsächlich retten?
Eine gefühlte und womöglich auch eine tatsächliche Ewigkeit lang saß sie mit dem sterbenden Körper ihres Mannes am Teichufer. Sie summte ein Kinderlied und wiegte sich und ihn hin und her.
Dann hatte sie sich entschieden.
Vielleicht stellte diese Situation eine Prüfung ihrer Standhaftigkeit dar. Es war ihr egal. Dann würde sie diese eben nicht bestehen. Wenn es Merlin nicht passte, dass sie gegen seine Regeln verstieß, konnte er sich ja eine neue Hüterin suchen. Auch wenn es für sie den Tod oder die Rückkehr in die ewige Bewusstlosigkeit bedeutete. Aber sie wollte - nein: sie konnte ! - nicht für ewig mit der Erinnerung leben, tatenlos zugesehen zu haben, wie Atrigor starb.
Sanft legte sie den Kopf des Kriegers auf den Boden und füllte etwas des Lebenswassers in den Kelch. Sie richtete seinen Oberkörper auf, setzte ihm das Gefäß an die Lippen und flößte ihm die kostbare Flüssigkeit ein.
Zunächst geschah nichts. Doch dann überkam sie erneut dieser Kälteschauer. Intensiver und eisiger als beim ersten Mal. Bedrohlicher!
Und dann brach das Chaos über die Quelle des Lebens herein.
***
Gegenwart
Njhugjr kochte vor Wut. Die Rückkehr aus seinem Gefängnis in die Welt der Menschen hatte er sich anders vorgestellt. Triumphaler. Stattdessen war er vor Erschöpfung eingeschlafen!
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit ihn der Dämonenjäger mit dem geheimnisvollen Armband in eine fremde Welt geschleudert hatte. Dieser Steigner hatte sich nicht einmal davon abhalten lassen, dass Njhugjr seine Frau und seinen Sohn als Schild benutzt hatte.
Dabei hatte der Dämon sogar noch Glück gehabt. Er hatte gespürt, dass die magische Entladung des Armbands ihn vernichtet hätte, wenn Steigner es mit aller Kraft eingesetzt hätte. So verbannte es Njhugjr und Steigners Familie nur in eine andere Welt, aus der es kein Entkommen gab.
Dennoch hatte der Dämon die Hoffnung nie aufgegeben. Eines Tages wollte er Rache nehmen! Er speiste die Frau und den Jungen mit seiner Magie, dass diese nicht alterten. Wenn er Steigner irgendwann einmal gegenüberstand, würde er dessen Familie vor seinen Augen töten. Egal, wie lange er auf diesen Moment warten musste. Das hatte er sich geschworen.
Und dann war da plötzlich dieser Vampir mit dem Ledermantel aufgetaucht, als wäre es eine der leichtesten Übungen, zwischen den Welten hin und her zu wechseln. Njhugjr erkannte seine Chance. Er ließ den Blutsauger im Glauben, ihn besiegt zu haben, und folgte ihm und den Steigners durch den sich schließenden Dimensionsspalt.
Diese Reise hatte ihm jedoch so viel abverlangt, dass er sofort eingeschlafen war, kaum dass er den Weltentunnel verlassen hatte.
Doch nun trugen ihn seine Flügel zu seinen ehemaligen Gefangenen, die er dank der Magie, mit der er sie jahrelang gespeist hatte, ganz einfach erspüren konnte.
Bald würde er seine Rache bekommen! Denn er ging davon aus, dass er dort, wo sich Steigners Familie aufhielt, auch den Dämonenjäger selbst fand.
Als er sie endlich erreichte, bot sich ihm ein Bild, das er nicht erwartet hatte. Unter ihm lag ein kleiner Friedhof. Ein alter Mann mit weißem Anzug und rotem Hemd sowie ein Junge kämpften gegen zwei Vampire. Auf der Seite der Blutsauger standen die Steigners! Seine ehemaligen Gefangenen.
Von dem Dämonenjäger, der ihn in die fremde Welt verbannt hatte, war jedoch nichts zu sehen. Auch von dem Kerl im Ledermantel, der ihm die Gefangenen gestohlen hatte, fehlte jede Spur.
Was ging da unten vor sich? Wer war der alte Mann?
Sei's drum. Er hatte so lange auf seine Rache an Steigner gewartet, da machten ein paar Stunden mehr auch nichts mehr aus. Außerdem: Der Vampir im Ledermantel hatte ihn tief gedemütigt, sodass er auch mit ihm abrechnen wollte. Da konnte er mit den Langzähnen dort unten doch schon gleich einmal den Anfang machen. Für ihn stand außer Zweifel, dass sie Dienerkreaturen des verhassten Blutsaugers
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