0949 - Die geronnene Zeit
waren.
Rhetts Gedanken gingen in die gleiche Richtung. »Wir müssen sie aufhalten!«
»Wenn es nicht schon zu spät ist«, sagte Dylan.
»Wir müssen es wenigstens versuchen.«
Zamorra blickte an sich herab, betrachtete mit verzerrtem Gesicht die in alle Richtungen abstehenden Finger und sah schnell wieder weg.
Wie sollte es ihnen gelingen, McCain und Steigner aufzuhalten?
Am liebsten wäre der Professor umgekehrt. Sie hatten doch ohnehin keine Chance!
In der nächsten Sekunde rief er sich zur Ordnung. Früher hatte er sich auch nicht von den Umständen kleinkriegen lassen. Wenn sein Leben tatsächlich demnächst zu Ende ging, dann sollte es nicht das eines Feiglings oder Zauderers sein.
»Ja«, sagte er. »Wir müssen es wenigstens versuchen!«
Sie betrachteten den gewundenen Pfad, der zwischen Bergflanken hindurch ins Tal führte, wo der Teich mit dem Lebenswasser lag.
»Schaut euch das an.« Dylans Stimme klang alles andere als zuversichtlich.
Auch wenn Zamorras Sehkraft nachgelassen hatte, konnte er deutlich genug erkennen, warum das so war. Aus dem Tal schoss eine dicke schwarze Rauchsäule in den Himmel und vereinte sich dort mit einer gigantischen Wolke, die dadurch noch zu wachsen schien. Dann brach die Säule ab und Tropfen wie flüssiger Teer regneten herab.
Unwillkürlich musste Zamorra an eine Illustration denken, die er vor Jahren vom Märchen der Frau Holle gesehen hatte. Die böse Schwester, die unter dem Torbogen stand und darauf wartete, mit Gold überschüttet zu werden. Stattdessen ergoss sich Pech über sie, verklebte ihre Haare, ihr Kleid.
»Passt auf, dass euch das Dunkel nicht trifft!« Bei seinem letzten Besuch hatte er festgestellt, dass es mit ein bisschen Verkleben bei dieser speziellen Art der Pechtropfen nicht getan war.
Wie sie sich der Quelle nähern wollten, wenn über ihr die Wolke stand und sich abregnete, war ihm noch nicht ganz klar. Aber darüber würden sie sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
Sie machten sich auf den Weg. Ständig behielten sie den Himmel im Blick, um herabfallenden Tropfen ausweichen zu können. Einmal reagierte Zamorra nicht schnell genug. Eine Pechträne klatschte ihm auf die Schulter. Im gleichen Augenblick wuchs ein grünlich wabernder Schutzschirm aus seinem Körper und nahm das Dunkel mit sich. Die ölige Flüssigkeit rann an dem Schirm herab wie Regen an einer Scheibe, doch bevor er den Boden erreichte, verdampfte er.
Merlins Stern hatte den Professor gerettet! Seit er ihn von Asmodis zurückbekommen hatte, wurde er grundsätzlich nur noch auf Zamorras Befehl hin tätig. Die einzige Ausnahme stellte der Schutzschirm dar, den das Amulett bei einem magischen Angriff selbstständig errichtete.
Doch auch er kostete Zamorra Kraft. Er stöhnte auf, als hätte ihn ein Faustschlag in die Magengrube getroffen.
Sofort waren Dylan und Rhett heran und stützten ihn.
»Alles in Ordnung?«
»Ja«, seufzte Zamorra. »Geht schon wieder. Los, wir müssen weiter!«
Dabei war ihm deutlich bewusst, dass er derjenige war, der ihren Marsch aufhielt.
Dann endlich erreichten sie einen Hügel, von dessen Kamm aus sie die Quelle sehen konnten.
»O Kacke!«, stöhnte Dylan auf.
Zamorra hielt diese Aussage noch für untertrieben. Denn das Bild, das sich ihnen bot, raubte ihm den Atem.
***
Lemuria - fünfzehn Jahre nach der Reinigung
Merlin stand im Schatten zwischen den Bäumen und beobachtete Kesriel, wie dieser für Duuna und Atrigor das Tor zur Quelle des Lebens öffnete.
Einer von ihnen würde der erste Unsterbliche werden. Was für ein erhebender Augenblick!
Wie sie vereinbart hatten, errichtete der Erbfolger das Weltentor durch eine Felswand im Wald, anstatt die Auserwählten direkt ins Shevnaron-Gebirge zu führen. Die Vorstellung, einen Ort zu betreten, der innerhalb des Dunkels lag, hätte die Kandidaten sicher abgeschreckt.
Der Magier war selbst überrascht, dass zwei so unterschiedliche Menschen zu den Auserwählten gehörten. Für ihn stand außer Frage, dass Atrigor von der Quelle würde trinken dürfen.
Auch Kesriel hatte Zweifel gehegt, ob er die zierliche Duuna in den Kampf gegen einen erfahrenen Krieger schicken sollte.
»Es ist nicht an dir zu entscheiden, wer die Quelle betreten darf und wer nicht«, hatte Merlin ihn belehrt.
»Heißt das, ich muss immer allen Auserwählten das Tor öffnen?«
»Nein, natürlich nicht. Da du nie weißt, wie viele es gibt und wo sie leben, wäre das unmöglich. Aber wenn du jemanden als
Weitere Kostenlose Bücher