095 - Das Ungeheuer von Loch Ness
Wasseroberfläche. Das Opfer stieß noch einen erstickten Schrei aus, rührte sich dann aber nicht mehr.
Lester Carrings starrte auf den Hals und den Kopf des Monsters, das jetzt untertauchte. Wenig später kündeten nur noch ein paar starke Wasserstrudel von seiner Existenz.
Lester Carrings hatte sich völlig verausgabt. Er ließ sich auf seinen Rudersitz fallen und war nicht fähig, zurück zur Felsspitze zu rudern. Auch die Gewißheit, daß das Monster sich noch in der unmittelbaren Nähe befinden mußte, trieb ihn nicht an. Er stierte auf das immer noch aufgewühlte, jetzt braune Wasser und sah dann den älteren Touristen an, der steif und starr auf den Bodenrost des Bootes saß und die Lippen bewegte. In den Augen des Mannes stand das Grauen, das ihm die Sprache genommen hatte.
„Großvater, ein Herr von der Polizei möchte dich dringend sprechen", sagte Gloria Mclntosh.
Sie stand in der Tür zum großen Arbeitszimmer des alten Herrn. Die Wände dieses Zimmers, dessen Erker und Fenster zum Loch Ness hinausführten, waren über und über mit Büchern bedeckt. Auf dem großen Arbeitstisch stapelten sich Manuskripte, Zeitschriften und aufgeschlagene Bildbände. Pattrick Mclntosh beschäftigte sich seit seiner Pensionierung mit der Erdvorgeschichte. Er betrieb eine Art Privatstudium. Finanziell konnte er sich dieses Hobby durchaus leisten.
Als Börsenmakler in London hatte er sich ein kleines Vermögen zusammengetragen.
„Was will er denn?" fragte der alte Herr nervös.
„Du solltest ihn empfangen, Großvater. Er macht wirklich einen sehr netten Eindruck."
„Schön. Bitte ihn herein!"
Pattrick Mclntosh erhob sich und ging dann seinem Besucher entgegen. Seine Enkelin hatte nicht übertrieben. Der Eintretende - er mochte dreißig Jahre alt sein - machte einen höflichen und kultivierten Eindruck.
„Inspektor Graves von der Kriminalabteilung in Inverness", stellte der Polizeibeamte sich vor. „Darf ich Sie um einige Auskünfte bitten, Sir? Sie wären von größter Wichtigkeit für uns."
„Nehmen Sie Platz, Inspektor! Möchten Sie eine Tasse Tee?"
„Sehr gern", antwortete Graves.
Er hatte ein schmales, energisch geschnittenes Gesicht, kluge braune Augen und einen Mund, der normalerweise sicherlich gern lachte.
„Gloria, wenn du uns versorgen würdest …"
Pattrick Mclntosh nickte seiner Enkelin zu, die ihm zuzwinkerte und dann das Arbeitszimmer verließ.
„Ich möchte Sie als Autorität in Sachen Nessie hören", begann Inspektor Graves ohne jede Umschweife. „In der Gesellschaft zur Erforschung des Loch-Ness-Phänomens hat man mich an Sie verwiesen, Sir."
„Welch eine Ehre!" Spott war in der Stimme des alten Herrn. „Wollen Sie sich tatsächlich von einem alten Narren langweilen lassen? Man wird Ihnen doch zu verstehen gegeben haben, daß der alte Mclntosh spinnt, oder?"
„Nun, Sir, so hart war man mit dem Urteil nicht." Inspektor Graves lächelte höflich. „Es gibt einige Mitglieder, die durchaus die Meinung vertreten, daß Sie das Loch-Ness-Monster recht genau kennen."
„Vermeiden Sie es, in meiner Gegenwart von einem Monster zu sprechen", sagte Pattrick Mclntosh mit einer gewissen Ungeduld und Schärfe. „In der Tierwelt gibt es keine Monster. Das einmal grundsätzlich. Selbst wenn Tiere Tiere töten, dann doch nur zur Erhaltung ihrer Existenz und Art. Nur wir Menschen unterschieben ihnen monsterähnliche Züge und Reaktionen."
„Entschuldigen Sie, Sir. Das stimmt natürlich."
„Sind Sie nur höflich oder auch einsichtig, Inspektor?"
„Ich habe erfahren, Sir, daß Sie mit Nessie schon einige Male Kontakte hatten."
Inspektor Graves ging auf die Frage des alten Herrn nicht weiter ein.
„Aber Inspektor. Sie werden sich doch schon informiert haben?" Mclntosh lächelte. „Sie wissen doch, daß ich vor vielen Jahren von Nessie gerettet worden sein will. Diese Geschichte erzählt man sich doch immer wieder hinter vorgehaltener Hand."
„Und was stimmt daran nicht, Sir?"
„Kein Wort." Mclntosh schmunzelte. „Nessie ist kein Delphin, der ertrinkende Menschen ans rettende Ufer trägt, wie die einschlägigen Legenden berichten. Wer diese Geschichte aufgebracht hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist diese Geschichte unter Whiskyeinfluß erfunden worden."
„Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie diese Geschichte niemals dementiert, Sir?"
„Wozu auch? Ich bin nicht gerade humorlos und habe mich mit dem Spott abgefunden."
„Darf ich fragen, ob Sie an die Existenz dieses
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