095 - Das Ungeheuer von Loch Ness
sich aus dem Haus gestohlen. Der alte Mann trug eine Art Südwester auf dem Kopf, hatte eine hüftlange Jake an, die mit Plüschpelz ausgefüttert war, und hielt einen kleinen Aluminiumkoffer in der linken Hand. Seine Enkelin Gloria wußte nichts von diesem nächtlichen Ausflug; sie hätte ihn wahrscheinlich beschworen, um keinen Preis hinaus auf den See zu fahren. Doch genau das hatte der alte Herr vor. Es ging ihm um Nessie. Er wollte das scheue Wesen in die kleine stille Bucht nahe hinter der Stadt locken. Vielleicht hatte Nessie hier noch eine Chance, die kommenden Tage zu überleben. Pattrick Mclntosh war klar, daß der morgige Tag der Beginn der großen Treibjagd sein würde.
Jahrelang hatten die Regierungsstellen sich nicht um Nessie gekümmert und dieses lebende Fossil ignoriert. Jetzt aber, nachdem man der Oberzeugung war, daß es eine reißende Bestie sein mußte, waren plötzlich Mittel vorhanden. Endlich kam es zu einer Aktion, die leider nur das eine Ziel hatte, Nessie um jeden Preis zu töten.
Der alte Herr wollte den Beweis antreten, daß Nessie mit dem mörderischen Monster nicht identisch sein konnte. Pattrick Mclntosh hatte sich entschlossen, ein paar Fotos von Nessie zu schießen. Auf diesen Fotos mußten die Flossen von Nessie deutlich zu erkennen sein; nur so konnte er beweisen, daß Nessie einfach nicht in der Lage war, an Land zu steigen und Menschen zu überfallen.
Heiliger Eifer erfüllte den alten Mann. Er schritt mit kurzen, trippelnden Schritten durch schmale Gassen und erreichte das Ufer. Hier unten gab es ein Grundstück, das ihm gehörte; und im Bootshaus lag ein kleiner Ruderkahn, mit dem er hinaus auf den Loch-Ness-See rudern wollte. Im Aluminiumkoffer befanden sich eine einfache Unterwasserkamera, ein Kassettenrecorder und ein Unterwassermikrofon. Diese wenigen Hilfsmittel mußten ausreichen, um Nessie anzulocken und zu fotografieren. Hoffentlich reagierte Nessie auf die akustischen Signale wie gewohnt.
Pattrick Mclntosh stieg vorsichtig in das Ruderboot, löste die Kette und ruderte hinaus auf den See. Die nächtliche Kälte spürte er gar nicht. Sein Ziel war die Landzunge, vor der er Nessie erst am vergangenen Tag gesehen hatte. Er wußte plötzlich mit letzter Sicherheit, daß Nessie in der Nähe war. Das scheue Wesen mußte doch längst gewittert haben, daß dieses Monster im See aktiv geworden war. Wahrscheinlich suchte es Schutz und wartete sogar auf Mclntoshs Erscheinen.
Der alte Mann hielt sich im Uferschatten. Er wollte nicht entdeckt werden. Leise und vorsichtig tauchte er die Ruderblätter ins Wasser. Er sah zur kleinen Stadt hoch, die nur spärlich beleuchtet war. Die Lichter von Urquhart Castle verschwanden hinter den Bäumen. Er hatte es geschafft, war nicht entdeckt worden.
Zu Glorias Beruhigung hatte er ihr einen schriftlichen Hinweis hinterlassen. In diesem kurzen Schreiben teilte er Gloria seine Absichten und Pläne mit. Er bat sie in seinem Schreiben auch, sich mit dieser geheimnisvollen Frau namens Coco Zamis in Verbindung zu setzen.
Was mochte diese Frau wohl tatsächlich wissen? War es ein Fehler, ohne Rücksprache mit ihr jetzt hinaus auf den See zu rudern? Mußte er damit rechnen, von dem wirklichen Ungeheuer angegriffen zu werden?
Pattrick Mclntosh verdrängte seine Bedenken. Für Diskussionen war später immer noch Zeit. Jetzt ging es erst einmal um Nessie.
Er hatte inzwischen die kleine Bucht erreicht. Um Zeit zu sparen, ruderte er schräg durch die kleine Bucht hinüber zur Landzunge. Der Mond, der bisher von regenschweren, dunklen Wolken verdeckt gewesen war, ließ sich wieder sehen und warf ein kalkweißes Licht auf die Wasseroberfläche.
Der alte Mann hob die Ruderblätter hoch. Er hatte ein Geräusch draußen auf dem See gehört. Befand Nessie sich bereits in der Nähe? Zu erkennen war leider nichts. Oder doch? Natürlich! Dort draußen in Richtung Südwest kräuselte sich das Wasser; es strudelte und schäumte sogar hoch. Unter der Wasseroberfläche mußte sich ein mächtiger Körper bewegen.
Der alte Mann hatte den Aluminiumkoffer geöffnet und holte die Unterwasserkamera heraus. Er machte sie einsatzklar und spannte die Feder. Dann verband er das Unterwassermikrofon mit dem Kassettenrecorder. Auf dem Tonband waren die vielen Laute festgehalten, die er im Laufe der Zeit von Nessie aufgenommen hatte. Was sie bedeuteten, wußte er natürlich nicht. Er ging davon aus, daß Nessie auf diese vertrauten Geräusche und Laute reagieren
Weitere Kostenlose Bücher