0950 - Visionen des Untergangs
wir Ihre Begabung nutzen würden, um in direkten Kontakt mit Ihrer Mutter zu kommen, dann könnte uns das sicher weiterhelfen. Ich meine, eine klitzekleine Séance könnte sicher nicht schaden.«
»Niemals!«, schrie Celine mit überkippender Stimme und starrte Zamorra an, als habe sie einen Irren vor sich.
Zehn Minuten und zahlreiche Engelszungen später hatte er sie fast überredet. »Es geht nicht anders, wenn wir Erfolg haben wollen, Celine, definitiv. Stellen Sie sich's einfach so vor: Sie schwingen außersinnlich auf einer extrem ausgefallenen Frequenz. Wenn Sie nun Ihre Signale, sagen wir mal: in den übersinnlichen Raum senden, werden die sie empfangen, die auf derselben Frequenz schwingen. So könnten wir Ihre Mutter ganz gezielt anfunken. Wenn ein normales Medium hingegen die Kontaktaufnahme versuchen würde, dann wären die Chancen vielleicht bei eins zu einer Million.«
Celine lächelte gequält. »Wenn das so ist, wie Sie sagen, dann könnten wir doch gleich meinen Großvater anfunken, der dann ja auch auf derselben Frequenz erreichbar sein müsste.«
Zamorra rieb sich das Kinn. »Sie haben völlig recht, ja. Allerdings scheint Ihr Großvater seine jenseitige Existenz als Irrwisch in der Hölle verbringen zu müssen. Und bevor ich nichts Näheres weiß, möchte ich den Kontakt zur Hölle erst mal nicht herstellen, das könnte gefährlich werden.« Er streichelte fast zärtlich über Merlins Stern , den er offen vor der Brust hängen hatte. »Wie ich Ihnen schon sagte, ist das hier eine sehr starke magische Waffe, mit der ich nicht nur Ihre medialen Fähigkeiten wecken kann, sofern sie tatsächlich da sind, ich kann auch den direkten Weg in die Hölle versperren.«
»Und wenn's nicht funktioniert?«
»Natürlich funktioniert's. Das ist tausend Mal erprobt«, sagte Zamorra und wurde ob dieser Notlüge nicht einmal rot. »Vertrauen Sie mir einfach, Celine.«
»Ich hab keine Ahnung, warum ich's tue, monsieur le professeur . Wahrscheinlich liegt's an Ihren treuherzigen, grauen Augen. Also gut, wagen wir es. Aber wenn ich Schaden an Körper und Seele davontragen sollte, müssen Sie mich trösten beziehungsweise pflegen. Versprochen?«
Dieses Versprechen ließ sich der Professor dann doch nicht abringen. Nachdem er Celine deutlich gemacht hatte, dass ein Ouija-Board oder Hexenbrett lediglich ein Hilfsmittel war, über das sich Geister bei medial völlig unbegabten Personen meldeten und das in diesem Fall keineswegs benötigt wurde, saßen sie auf dem Sofa nebeneinander. Zamorra fasste Celines Hand und versenkte sich dann geistig in das Amulett. Er befahl ihm, Celines mediale Fähigkeiten zu suchen und zu verstärken.
Tatsächlich spürte Zamorra kurz darauf, wie sich ein Ruf in den unendlichen Weiten der unsichtbaren Welten ausbreitete.
Jaqueline Hardy, Mutter, bist du da irgendwo? Ich rufe dich. Ich bin's, deine Tochter Celine. Nimm bitte Kontakt mit mir auf, wenn du kannst!
Nichts passierte. Celine rief ein zweites Mal. Und bekam Kontakt! Plötzlich wurde es eiskalt im Zimmer. Die Scheiben beschlugen mit Raureif, vor den Mündern der beiden Menschen hingen plötzlich Atemfahnen. Neben einem kleinen Bücherschrank entstand ein milchig weißes Wallen; erst nur faustgroß, wuchs es an und formte einen nebelhaften Körper - den einer Frau!
Celine starrte den Ektoplasmakörper voller Panik, mit weit aufgerissenen Augen an. Zamorra fühlte, dass sie total verkrampfte und im nächsten Moment aufspringen und fliehen würde. Er schickte ihr beruhigende Impulse, die Merlins Stern verstärkte. Mit einem leisen Seufzer entspannte sich Celine wieder.
Celine, mein Kind, bist du das wirklich? Die Stimme war nicht im Raum zu hören, sie klang direkt in den Hirnen der beiden Menschen auf.
M-Mutter? Bist du das?
Ja, Kind, ich bin es.
Dann sag mir, warum du dich nie um mich gekümmert hast! Warum hast du mich alleine gelassen! Ich habe dich immer vermisst! Vermisst, hörst du, vermisst, vermisst, vermisst!
Zamorra hatte das Gefühl, dass die Kontaktaufnahme gerade in die völlig falsche Richtung driftete und Celine ihre Mutter mit den Vorwürfen vielleicht verschreckte. Aber noch mischte er sich nicht ein.
In den Ektoplasmakörper kam plötzlich Bewegung. Die ohnehin nur undeutlichen Konturen zerflossen und zerfaserten weiter. Es war, als würde ein Windstoß eine Nebelwand verwirbeln.
Es tut mir so schrecklich leid, Kind. Hast du meinen Brief nicht gelesen? Dort habe ich dir doch alles geschrieben. Ich
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