0951 - Die Exorzistin
Haken hinter der Tür hing.
Bevor sie den Anorak überstreifte, schlüpfte sie noch in die Stiefel, die ebenfalls gefüttert waren, dann holte sie die Jacke vom Haken und blieb plötzlich mitten im Raum zwischen Bett und Fenster stehen.
Auch in der Dunkelheit wirkte Marion Bates wie eine Person, die über ein Problem grübelte, und das stimmte bei ihr tatsächlich. Das Mädchen fragte sich, warum es aufgestanden war und sich angekleidet hatte.
An einen Grund konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Da mußte etwas anderes mit im Spiel gewesen sein. Vielleicht eine innere Stimme, die ihr einen Befehl gegeben hatte, ohne daß sie es merkte.
Marion war noch ein Kind, aber sie handelte nicht mehr so. Dazu hatte sie in der letzten Zeit einfach zu viel erlebt, und sie war dabei auf eine erschreckende Weise erwachsen geworden. Darüber dachte sie nach, als sie gegen das Fenster mit dem Bleiglas schaute, und sie suchte dabei nach einem Grund.
Konnte er darin liegen, daß sie eine Gefahr gespürt hatte? Ja, etwas, das in ihrer Nähe lauerte, sie aber noch nicht erreicht hatte. Das zwölfjährige Mädchen war durch die Ereignisse sensibilisiert worden. Unbewußt betrachtete sie ihr Leben jetzt mit anderen Augen.
Das Fenster lockte sie. Es wirkte auf sie wie ein verformtes, blasses Auge. Plötzlich konnte sich das Mädchen vorstellen, von etwas aus dem Schlaf gerissen worden zu sein, das nicht hier im Haus seinen Ursprung gehabt hatte, sondern draußen.
Die weitere Umgebung des Klosters kannte sie nicht. Sie wußte nur, daß es dort Wald gab, aber um das Kloster herum breitete sich ein Garten aus, und von hohen Mauern wurde er zwar umfriedet der Bau stammte noch aus alter Zeit -, doch das Tor aus Eisenstäben, die gitterförmig angelegt worden waren, konnte leicht überklettert werden. Von und nach beiden Seiten.
Marion aber war vorsichtig. Sie wartete noch ab. Erst dann zog sie das Fenster nach innen, ließ es an sich vorbeigleiten und atmete wieder die kalte Nachtluft ein.
In diesem Januar meinte es der Winter besonders gut. In den letzten Jahren war es zu warm gewesen. Zwar hatte es auch jetzt nicht geschneit, doch seit einigen Tagen schon hatte der Frost den Boden hart gemacht und die Natur mit einem »Zuckerglanz« überzogen.
Auch der Garten des Klosters, in den das Mädchen hineinschaute, war davon nicht verschont geblieben. Hinzu kam der klare Himmel und der noch volle, aber blaß wirkende Mond. Sein Schein ließ den Klostergarten aussehen wie eine fremde, mit Zuckerguß überpuderte Welt, in der alles erfroren war. Wo die Schneehexe lebte und sich mit Freunden aus blankem Eis vergnügte. Wo eben alles eingefroren war, aber dennoch irgendwie offen lag, denn Marion konnte von ihrem günstig liegenden Fenster aus einen Großteil des Gartens überblicken, in dem sich nichts rührte.
An einigen Stellen, wo es besonders schattig war, sah das Eis grün aus. Das Astwerk der Bäume wiederum wirkte weiß, als hätte jemand Zucker darüber gestreut.
Alles sah so starr aus. Und es war still. Eigentlich hätte diese Stille das Mädchen beruhigen müssen, bei ihr war es nicht der Fall. Je länger sie in den Garten hineinstarrte, um so nervöser wurde sie.
Einmal mußte Marion die Gläser ihrer Brille putzen, weil diese beschlagen war, doch als sie abermals nachschaute, hatte sich nichts verändert.
Die Schreie paßten überhaupt nicht!
Plötzlich schrak das am Fenster stehende Mädchen zusammen. Es hatte den Eindruck, als wollten die Schreie in ihren Kopf hineinsägen. Zuerst die Stirn durchdringen, dann den gesamten Kopf erfüllen, um irgendwann wieder abzuklingen.
Sie waren so fern gewesen und trotzdem so nah. Marion kam damit nicht zurecht, aber sie begann damit, nachzudenken und sich an die Minuten zuvor zu erinnern.
Vielleicht waren die Schreie schon einmal aufgeklungen. Da waren sie nur vom Unterbewußtsein aufgenommen worden, das sie geweckt und zugleich gewarnt hatte.
Wovor denn?
Marion war erwachsen geworden. Vor einer Woche noch hätte sie sich in ihrem Bett verkrochen, nun aber dachte sie darüber nach, daß die Warnung einen Grund gehabt haben konnte.
Jemand wollte etwas von ihr. Irgendeiner oder irgendeine war ihr auf der Spur. So mußte es sein, es gab für sie keine andere Lösung. Da dachte Marion auf einer Schiene, kein Wunder nach diesen Ereignissen. Sie fühlte sich immer bedroht, auch wenn die Gefahr nicht unmittelbar in ihrer Nähe lauerte.
Sie versuchte, sich wieder an die Schreie
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