0955 - Der Gruftie
sie mich an. »Und ich glaube auch, daß sich diese Person nicht mehr in ihrem Grab befindet. Sie ist unterwegs. Sie verfügt über eine mörderische Kraft, auch all die Erde, die sich über ihr türmt, zur Seite zu schieben. Mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, obwohl ich selbst mehr über das Geheimnis seines seltsamen Lebens erfahren hätte, aber da hat er sich zurückgehalten. Von einem fremden Volk muß er dieses Mittel oder diesen Zauber mitbekommen haben. Ich kenne mich da wirklich nicht aus, aber ich weiß, daß es bei den Inkas oder Mayas schon geheimnisvolle Totenkulte gegeben hat. Mein Bruder hat es eben geschafft, das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen.«
Jane schaute mich an. »Was sagst du dazu, John?«
»Ich sehe darin keinen Widerspruch.«
Douglas Waterman war schon ein wenig irritiert. »Dann, dann glauben Sie mir und auch meinem Bruder?«
»Ja, das glaube ich.«
Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht mal, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Aber ich möchte mich für mein Benehmen vorhin entschuldigen. Es war nicht gut, wie ich Sie angesprochen habe, aber Sie verstehen sicherlich den Streß.«
»Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen«, beruhigte ich ihn. »Wichtig ist jetzt Ihr Bruder.«
»Ich glaube, daß er durch den Garten läuft. Dort kann er sich verstecken, das ist die Welt, die er kennt. Er hat ja heute nicht zum erstenmal sein Grab verlassen.« Waterman atmete tief durch und leerte sein Glas mit einem langen Zug.
»Nur draußen?« fragte mich Jane.
»Eben, das ist das Problem.«
Waterman hatte zugehört. »Moment mal«, sagte er und wirkte plötzlich sehr fahrig. »Glauben Sie denn, daß er sich hier aufhält? Ich meine, hier im Haus?«
»Er wird kommen!«
Ich hatte den Satz kaum ausgesprochen, als es weiterlief wie in einem Film. Wir hatten zuvor nichts gehört, aber plötzlich wurde die Tür des Arbeitszimmers hart nach innen gestoßen. Ein Mann hielt sich noch an der Klinke fest, als er über die Schwelle taumelte. Ich kannte ihn, denn ich hatte ihn schon im Eingangsbereich als einen der Leibwächter gesehen. Nur sah er jetzt nicht mehr so aus wie vor einer Stunde. Er hatte sich schrecklich verändert. Sein Gesicht war blutüberströmt, als wären mehrere Krallen durch die Haut gezogen worden.
Aus eigener Kraft flog er nicht nach vorn, dafür hatte der harte Tritt des Grufties in seinem Rücken gesorgt. Diese Gestalt tauchte hinter ihm auf, um sich neue Opfer zu holen…
***
Die Party befand sich auf dem Höhepunkt. Die Menschen hatten dem Alkohol kräftig zugesprochen.
Bei Frauen und Männern verschwanden die Hemmungen. Die Starlets versuchten jetzt mit aller Macht, sich an irgendwelche Männer zu hängen, von denen sie hofften, daß sie ihnen ein Stück des Kuchens mitgaben. Sie wollten am Ruhm lecken, sie wollten die Ehre auskosten, sie wollten auf die Bildschirme und vielleicht ins Kino.
Zwei von ihnen hatten sich den TV-Moderator geschnappt. Links und rechts hakten sie sich bei ihm ein und hatten ihn aus dem Salon hervorgezerrt in den Bereich des Eingangs hinein, wo ebenfalls gefeiert wurde.
Man war locker, man war in Stimmung, man dachte an alles mögliche, nur nicht an den Tod.
Und der war plötzlich da!
Dem Gruftie war es gelungen, die Tür gewaltsam zu öffnen. Plötzlich stolperte er in den Bereich hinein, in dem gefeiert wurde. Eine Gestalt, die nicht zu den anderen paßte, die aber von ihnen gesehen wurde. Man nahm sie wahr, man registrierte sie irgendwo, aber man kam mit ihrem Erscheinen nicht zurecht und rechnete womöglich auch mit einem Scherz.
Der war er nicht.
Der Gruftie brachte den Tod, und er brachte zudem einen Geruch mit, der den anderen nicht passen konnte, denn ein Hauch von Moder, eingepackt in eine eisige Kälte, glitt durch den Raum.
Eine Frau fing an zu quietschen, als sie ihn sah, um dann loszulachen.
Das hörte einer der Bodyguards. Er drehte sich, und er sah, daß diese fremde Gestalt schon einige Schritte in den großen Raum hineingegangen war.
Bei dem Mann klickte es. Das war kein Scherz, kein Spaß, er wußte genau, daß hier etwas vorging, mit dem die meisten nicht fertig wurden. Er war als Beschützer, Wächter und Aufpasser engagiert worden, und er griff den Gruftie an.
Seine Waffe wollte er nicht ziehen. Obgleich er sich selbst davor fürchtete, mußte er hinlaufen und dieses Skelett aus dem Weg räumen. Noch hielten es die anderen Gäste für einen überraschenden Gag. Vom Salon her strömten sie
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