0956 - Die Schlangenfrau
Arbeit. Ihr Chef hieß Frank Dean. Er war in London so etwas wie ein Greenhorn. Man hatte ihn aus Sheffield hierher versetzt. Auf eigenen Wunsch, wie er uns gesagt hatte, weil seine zukünftige Frau aus London stammte und gern hier wohnen bleiben wollte. Obwohl er nur kurze Zeit in dieser Stadt war, hatte er von uns gehört. Wir trafen jetzt zum erstenmal zusammen, und er wußte nicht so recht, wie er uns behandeln sollte.
Vom Äußeren her konnte man ihn als schneidig bezeichnen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der alles mit einem militärischen Drill durchführte.
Bei ihm war alles exakt. Das fing bei einem konservativen Haarschnitt an. Das kurze Haar lag wohlgescheitelt auf dem Kopf, und auch die Kleidung wirkte sehr adrett. Da war es schon eine Ausnahme, daß er seinen Wintermantel nicht geschlossen hatte. Darunter trug er einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine gemusterte Krawatte.
Das etwas blasse Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als er uns ansprach. »Wenn ich sage, daß ich vor einem Rätsel stehe, dann bin ich ehrlich zu Ihnen.«
»Ein Vorteil«, erklärte Suko, »denn wir sind es auch im Moment. Wir müssen noch passen.«
»Sehr schön.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wie ich es sagte. Ich bin nur froh, daß Sie hier nicht erschienen sind und schon nach drei Minuten den Täter präsentieren.«
Suko wunderte sich. »Wie kommen sie denn auf eine derartige Idee, Mr. Dean?«
»Man hört ja einiges.«
»Über uns?«
»In gewisser Weise schon.«
»Vergessen Sie alles, und vergessen Sie auch Ihre Vorurteile, die Sie uns gegenüber möglicherweise gepflegt haben. Wir sind erstens nicht das und zweitens nicht dies. Das können wir Ihnen versichern. Aber uns geht es auch um die Zeugin. Was ist mit Judy Ganter? Schläft sie, oder können wir mit ihr sprechen?«
»Sie schläft nicht« murmelte Frank Dean, »aber die Spritze hat sie ziemlich lethargisch gemacht. Es steht noch nicht fest, was wir mit ihr machen sollen. Wir können sie auf keinen Fall in diesem Zustand im Haus zurücklassen. Außerdem müssen wir die Ganters informieren. Sie sind in der Schweiz und wissen nicht, was hier passiert ist.«
»Das können Sie später noch erledigen«, sagte ich. »Für uns ist das Gespräch mit Judy wichtig.«
»Dann kommen Sie mit.«
Wir hatten im Bereich des Eingangs gestanden. Nun aber führte uns der Weg in das Innere des Hauses, und ich wunderte mich darüber, wie jemand den Eingangsbereich nur mit derartigen Möbeln ausstaffieren konnte. Sie stammten aus einer anderen Zeit, sie waren düster, mochten auch wertvoll sein, aber sie waren auf keinen Fall mein Geschmack.
Frank Dean ging vor. Natürlich schneidig wie ein Offizier vor seiner Truppe.
Das Zimmer, in dem Judy Ganter untergebracht war, betraten wir, ohne zuvor angeklopft zu haben. Wir ließen auch die Deckenlampe dunkel, denn die Stehlampe gab genügend Helligkeit ab.
Judy Ganter lag auf der Liege und kriegte von ihrer Umgebung nichts mit. Wir hörten nur ihren leisen Atem. Sie machte auf uns den Eindruck einer Schlafenden.
Das Mädchen erschrak nicht, als sie uns bemerkte. Es blieb auf dem Rücken liegen, drückte nur den Kopf ein wenig nach links.
Ich stellte eine Frage, bei der ich mir selbst dumm vorkam, aber es gab nun mal diese Floskel, und irgendwo war sie dann auch nicht verkehrt.
»Wie geht es Ihnen?«
»Weiß nicht.«
»Können Sie über das reden, was Sie gesehen haben?«
»Ich will es versuchen.« Ihre Worte drangen sehr langsam, leise und auch träge über die blassen Lippen. Viele Fragen wollten wir sowieso nicht stellen. Wir waren lange genug im Geschäft, um unsere Grenzen zu kennen, das machten auch Suko und Frank Dean klar, als sie vom Bett zurücktraten und ich als einziger blieb. So hatte die junge Frau nicht mehr den Eindruck, massiv körperlich bedrängt zu werden.
Sie ergriff die Initiative und fragte: »Sie sind Polizist, nicht wahr?«
Ich nickte und stellte mich namentlich vor.
»Ich kann Ihnen nicht viel sagen.«
»Vielleicht reicht es ja, Judy. Mich interessiert vor allen Dingen, ob Sie etwas gehört oder gesehen haben, was überhaupt nicht in diesen abendlichen Rahmen hineinpaßt.«
»Denken Sie an den Täter?«
»Zum Beispiel.«
Ihr Blick schien sich in weite Fernen zu verlieren, als sie ihre Antwort gab. »Nein, eigentlich nicht. Ich, ich - habe nichts gesehen. Ich kenne den Mörder nicht.«
»Ihnen ist auch nichts aufgefallen?«
»Ja, schon, aber…«
»Was war
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