0956 - Die Todeszone
Malteser-Joe auf Jacques zu, hieb ihm die abgebrochenen Flaschen in die Seite und riss mit aller Kraft die Arme hoch. Der Gestaltwandler hatte den alten Mann als ungefährlich eingestuft und daher kaum beachtet. Jetzt schrie er auf, als die groß gezackten Glasscherben tiefe Furchen durch sein Fleisch zogen.
Malteser-Joe lachte triumphierend auf. Zu spät bemerkte er den linken Tentakel, der unvermittelt auf ihn zuschoss und ihn von den Beinen riss. Bevor sich der alte Mann in Sicherheit bringen konnte, hämmerten die Enden beider Armtentakel gegen seine Brust und trieben die Luft aus seinen Lungen.
Und dann beugte sich der dämonische Attentäter über seinen sich vor Schmerzen krümmenden Gegner. Mit aufreizender Langsamkeit verwandelte sich auch das Gesicht der Höllenkreatur in eine tentakelförmige Extremität, die sich wie eine Schlange auf Gerard Fronton zubewegte. An der Spitze befanden sich zwei schmale Augenschlitze und ein mit spitzen Zähnen bewehrtes Maul, das ihn böse angrinste.
»Männer deines Alters sollten ihren Lebensabend in Frieden genießen und nicht mehr bei jeder Kneipenschlägerei mitmischen.«
»Du kannst mich mal, du Sohn einer räudigen Hündin!«
Die rasiermesserscharfen Zähne kamen noch ein bisschen näher, bis sie nur noch wenige Zentimeter über Gerards Gesicht schwebten. Der ehemalige Fremdenlegionär konnte den fauligen Atem riechen, der aus dem widerwärtigen Maul strömte.
»Ich könnte das hier sehr schnell beenden, alter Mann. Aber wenn es um meine Mutter geht, bin ich sehr empfindlich. Deshalb werde ich das hier weidlich auskosten.«
Als das weit aufgerissene Maul auf ihn zuschoss, schloss Gerard Fronton die Augen und wartete auf seinen Schöpfer.
***
Château Montagne
Zamorra dachte immer noch an Fu Longs düstere Prophezeiung, als er durch das Weltentor trat, das er zwischen Choquai und Château Montagne geschaffen hatte. Der Parapsychologe verdrängte die dunklen Gedanken, verließ sein »Zauberzimmer«, in dem er sich materialisiert hatte, und machte sich auf die Suche nach Nicole. Im Erdgeschoss traf er auf Butler William, der gerade gewissenhaft die Ritterrüstungen im Eingangsbereich entstaubte. Putzarbeiten dieser Art waren eigentlich unter der Würde eines Butlers, aber William nahm es mit der Reinlichkeit sehr genau. Außerdem entspannte ihn diese monotone Tätigkeit, wie er immer wieder gern betonte.
Der distinguierte Schotte fiel vor Schreck fast von der Leiter, als Zamorra auf ihn zurauschte. »Verzeihung, Monsieur«, murmelte er verlegen. »Ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Ich wähnte Sie noch bei diesem untoten chinesischen Gentleman.«
»Ich bin gerade zurückgekommen. Wo ist Nicole?«
»Mademoiselle Duval geruhte in Feurs etwas zu shoppen. Ich glaube, ihre Kleiderschränke bedurften dringender Auffüllung.«
Der Butler schaffte es, diese angesichts der aus allen Nähten platzenden Kleiderschränke von Zamorras Gefährtin vollkommen absurde Behauptung ohne den geringsten Anflug von Ironie vorzutragen. Vermutlich weil er wusste, dass Nicole ihn auf der Stelle lynchen würde, sollte sie je davon erfahren. Shopping war für Nicole eine sehr ernste Angelegenheit, bei der sie keinen Spaß verstand. Vermutlich weil dieser völlig aberwitzige Modefimmel, dem sie sich in ihrer Freizeit hingab, die perfekte Ablenkung von den Schrecken war, die den größten Teil ihres Lebens beherrschten.
»Verstehe«, erwiderte Zamorra genauso ernsthaft. »Sonst müsste sie ja nackt rumlaufen. Gott behüte.«
»In der Tat, Monsieur. Gott behüte.«
Hatte Zamorra tatsächlich die Andeutung eines Lächelns gesehen? Schließlich wusste William genauso gut wie er, dass Zamorras Gefährtin ungeachtet ihrer überquellenden Kleiderschränke am liebsten leicht bekleidet oder sogar völlig nackt durch das Château lief. Doch der Butler sah ihn mit größtem Ernst an, als er weitersprach. Er musste sich geirrt haben. »Ich glaube, Sie hat Ihnen eine Nachricht auf dem Esstisch hinterlassen.«
Tatsächlich fand Zamorra eine kurze handgeschriebene Notiz, in der Nicole vorschlug, dass sie sich nach ihrer Shopping-Tour und seinem Besuch bei Fu Long auf ein Glas Wein bei Mostache trafen. Zamorra sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei, mit etwas Glück war Nicole schon wieder zurück. Schließlich waren die Einkaufsmöglichkeiten von Fleurs im Vergleich zu Paris oder Lyon doch sehr begrenzt.
Zamorra überlegte kurz, den BMW zu nehmen, entschied sich dann aber dagegen. Ein
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