0957 - Der schwarze See
Angreifer machten gar keine Anstalten, sich zu verstecken. Gryf sah etwa ein halbes Dutzend Männer und Frauen, die sich vor dem Château verteilt hatten. Sie trugen Granatwerfer, Sturmgewehre oder Maschinenpistolen - und die meisten dieser Waffen waren gerade auf ihn gerichtet.
Der Wind trug lautstarkes Gejohle zu ihm herüber, als ihn die Belagerer ins Visier nahmen und ihre Magazine auf ihn leerfeuerten. Gryf zwang seinen Herzschlag, sich zu beruhigen und schloss die Augen. Mit seinen Para-Sinnen griff er hinaus und prägte sich die Position und die Aura der Angreifer genau ein, während um ihn herum Mauerwerk zersplitterte und kleine Steinstückchen blutige Striemen in sein Gesicht rissen.
Und dann hatte er alle Informationen, die er brauchte. Sofort warf sich Gryf herum und rollte zurück zur Einstiegsluke. Eine Granate schlug genau dort ein, wo er sich soeben noch befunden hatte und riss große Stücke aus dem Mauerwerk.
»Alles klar, Kumpel?«, erkundigte sich Malteser-Joe besorgt.
»Alles klar, nur ein paar Kratzer«, versicherte Gryf. Eilig verließen sie das Dach. Wie ein höhnisches Triumphgeschrei begleiteten weitere Maschinengewehrsalven ihren Abstieg. Doch Gryf grinste breit, als sie die Sicherheit des vierten Stocks erreicht hatten.
»Du scheinst dich ja prächtig zu amüsieren, Goldlöckchen«, maulte Malteser-Joe. »Hast du da draußen irgendwas erreicht, das mir entgangen ist?«
»In der Tat«, sagte Gryf. »Wenn ihr mich einen Moment entschuldigen könntet?«
Gryf trat einen Schritt vor - und war verschwunden.
***
Der Soldat gab sich tatsächlich alle Mühe, sie sicher durch die Basis zu führen. Nicole hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht direkt in die Kämpfe eingriff. Aber abgesehen davon, dass ihr jede adäquate Bewaffnung fehlte, war sie auch körperlich nicht in der Verfassung, um sich auch nur einer dieser höllischen Kreaturen zu stellen.
Pedro führte sie durch verlassene Seitengänge und Versorgungsschächte zu einer Tiefgarage, in der ein Teil des beachtlichen Fuhrparks untergebracht war, den das kolumbianische Militär in den Dschungel verfrachtet hatte.
»Hier sind nur die einfachen Fahrzeuge«, sagte der junge Soldat entschuldigend. »Die gepanzerten befinden sich mitten in der Kampfzone.«
»Schon gut. Wir werden sicherlich was Nettes finden«, murmelte Nicole. Ihr Blick glitt über die Motorräder, Jeeps und Vans, bis sie etwas gefunden hatte, das ihren Vorstellungen am nächsten kam. Sie deutete auf einen grünen Jeep: »Der da!«
Pedro nickte. »Ich hole die Schlüssel.«
Er hatte die beiden Frauen kaum in Richtung eines kleinen Versorgungsraums verlassen, als sich Nicole mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Wand lehnte. Sie strich vorsichtig über den Verband unter ihrer Bluse. Er war feucht.
»Nicole, du blutest«, sagte Paula entsetzt.
»Halb so schlimm«, murmelte die Dämonenjägerin. »Aber du wirst fahren müssen, kriegst du das hin?«
Paula nickte heftig. »Natürlich, ich bin eine gute Fahrerin, ich habe schon…«
Nicole stoppte ihren Redeschwall mit einer schwachen Handbewegung. »Schon gut, ich glaube dir.«
Sie wollte noch etwas sagen, als ein gewaltiger Knall ertönte und das große Fenster zwischen Garage und Versorgungsraum in tausend Stücke zerbarst. Eine der schwarzblütigen Kreaturen hatte sich mitten in dem kleinen Büro materialisiert und das Glas mit einer beiläufigen Bewegung ihres linken Oberarms zertrümmert. Anders als das Monstrum dem sie zuvor begegnet war, glich diese Ausgeburt der Hölle einer riesigen, auf zwei Beinen laufenden Echse. Wütend peitschte ihr gewaltiger Schwanz durch den Raum und riss Regale und Schränke um.
»Pedro!«, keuchte Nicole.
Sie konnte von ihrer Position aus sehen, wie sich der blutjunge Soldat panisch in die hinterste Ecke drückte. Sein Fluchtweg war versperrt, das Echsenmonster stand direkt zwischen ihm und der Tür. Entschlossen stieß sich die Dämonenjägerin von der Wand ab.
»Wir müssen ihn da rausholen!«
Sie schaffte zwei Schritte, bevor ihre Knie nachgaben und sie den Boden auf sich zukommen sah. Im letzten Moment fing Paula sie auf. »Es ist zu spät«, sagte die Reporterin mit tränenerstickter Stimme.
Nicole hob mühsam den unendlich schwer gewordenen Kopf und blickte zum Büro. Die Echse hatte Pedro gepackt und schleuderte ihn durch den winzigen Raum. Hart knallte der kolumbianische Soldat gegen den Rahmen der zerstörten Fensterscheibe, als das Monstrum ihn auch schon
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