0958 - Der Keller
Keller ist nicht anders. Ich werde mich da schon zurechtfinden.«
»Ja, schon gut. Ich warte dann hier oben. Nicht an derselben Stelle, aber ich bin in Hörweite.«
»Sehr schön.« Sie zwinkerte dem Fotografen zu, nahm die Taschenlampe in die rechte Hand und machte sich auf den Weg in den Keller dieses Hauses. Ihre Forschheit war schon nach den ersten Schritten verflogen. Sie war zu aufgesetzt gewesen. Wenn sie ehrlich war, fürchtete sich Vicky schon vor diesem Keller, dem sie entgegenging. Er kam ihr vor wie ein düsterer Tunnel, durch den man in die andere Welt gelangte.
Es war unheimlich. Es wurde düster, die Schatten fielen über sie her wie lange Bänder. Als sie noch einmal zurückschaute, sah sie den Fotografen vor der Treppe. Er winkte ihr zu. Sie lächelte und winkte zurück.
Es war keine schmale Treppe. Man hatte die Stufen damals breit angelegt, ebenso wie die, die nach oben führten. Nur war der Zugang in den Keller schmaler, und an den Wänden entdeckte sie den Schmutz wie ein düsteres Gemälde.
Die Stufen waren feucht. Vicky hielt sich an der Wand, wo sie auch das alte Geländer fand, dessen Handlauf ebenfalls rostig und feucht war.
Aber sie hatte zumindest einen Halt gefunden, und so stieg sie Stufe für Stufe in das Dunkel.
Rabenschwarz. Eine rußige Finsternis, die über sie floß und sie umgab wie ein Tuch. Vicky bekam leichte Beklemmungen, wenn sie Luft holte.
Die Luft war einfach anders. Dieser Keller hier hatte sie in all den Jahren aufgestaut, und sie war von keinem Windstoß mehr durcheinandergewirbelt worden.
Die Treppe führte weiter. Immer tiefer. Sie schien überhaupt kein Ende zu haben. Das war unbegreiflich. Die Treppe nahm Vicky in ihren Bann, sie war allgegenwärtig, und Vicky Meininger setzte immer wieder einen Fuß vor den anderen, ohne es eigentlich zu merken. Es war ein Automatismus, der plötzlich aufhörte, denn auch die Treppe hatte sie hinter sich gelassen.
Es gab keine Stufen mehr.
Vicky atmete auf. Sie hatte den Keller erreicht. Das große Gelände unter der Erde. Von hier aus war es passiert. Hier unten mußte etwas hausen, vor dem die Frau Angst bekommen hatte.
»Vicky!«
Die junge Frau schrak zusammen, als sie die Stimme hörte. Ihr Name war gerufen worden. Über ihr war der Schall durch die Dunkelheit geflossen, aber sie wunderte sich darüber, wie seltsam sich die Stimme angehört hatte. Als wäre sie weit, weit weg gewesen.
»He, Vicky!«
»Ja, ich bin hier.«
»Im Keller?«
»Klar.«
»Und was siehst du?«
»Nichts, Tom, gar nichts. Ich stehe hier im Dunkeln und werde mich jetzt erst umschauen.«
»Aber es geht dir gut - oder?«
»Im Moment noch.«
»Schön, ich warte, und es bleibt bei unserer Abmachung. Melde dich wieder, wenn du etwas siehst.«
Vicky Meininger nickte und schluckte den Kloß hinunter. Das war hier unten alles so schrecklich normal und trotzdem nicht normal. Dieser Keller gefiel ihr nicht, obwohl sie noch nichts von ihm gesehen hatte.
Vicky kam mit den Entfernungen nicht zurecht. Irgendwo stimmten sie nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, mehr als das Doppelte zurückgelegt zu haben, als es tatsächlich der Fall war. Etwas war da in die Hose gegangen, hatte sich verändert, und auch ihre Nervosität war nicht normal. Vor einem Keller hatte sie sich sonst nie gefürchtet.
Endlich dachte sie an die Lampe. Der Strahl kam ihr kalt vor. Sie leuchtete zuerst zu Boden, wo sie feuchte Flecken sah, in die sich der Schmier der Jahrzehnte gemischt hatte. Der Boden schien eine stinkende Kloake zu sein, nicht mehr und nicht weniger.
Vicky leuchtete über den Boden hinweg und dann in die Tiefe des Kellers hinein, der einfach schwarz war. So finster, so grauenvoll - so dicht, als hätte hier jemand die Dunkelheit doppelt hineingestopft.
Jemand hatte mal von einer Angst gesprochen, die auf der Seele kleben kann. Früher hatte Vicky darüber gelacht, in diesen Minuten kam ihr das Beispiel nicht mehr so fremd vor. Auch sie spürte die Angst, zumindest das große Unbehagen, das auf ihrer Seele klebte und ihr arg zusetzte.
Sie hatte sich zuviel vorgenommen, das wußte sie schon zu Beginn. Es war zuviel gewesen, aber den Rückzug wollte sie nicht machen. Tom hätte nur gelacht, den Triumph wollte sie ihm nicht gönnen, also begann sie damit, den Keller zu untersuchen.
Sie setzte eine Richtung fest. Sollte er nicht in zahlreiche Räume aufgeteilt sein, wollte sie links anfangen, sich immer an der Wand halten und praktisch das Rechteck des
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