0959 - Der Fallbeil-Mann
nach.
»Ja.«
»Dort gibt es nichts, abgesehen von einigen Fischen, aber darauf sind Sie wohl nicht erpicht.«
»Nein, das sicherlich nicht, Sir. Aber in dem Teich, gebadet in rotes Licht, entdeckte ich plötzlich zwei Personen, von denen ich nur eine kannte.«
Er grinste schief, wie jemand, der nicht glauben konnte, was er hörte.
»Im Wasser?«
»Als geisterhafte Projektion.«
»Und wen sahen Sie?«
»Einen kannte ich. Es war der Henker. Und dann erschien eine zweite Person. Ein junger Mann mit schwarzen, lockigen Haaren und nacktem Oberkörper. Seine Hände waren ihm auf dem Rücken zusammengebunden worden. Er sah aus, als stünde man kurz vor seiner Hinrichtung. So habe ich es gesehen. Und nun, Sir Vincent, möchte ich Sie fragen, ob Sie den Mann kennen.«
Er schnaufte, hielt aber seine Hand vor den Mund. »Nein, Mr. Sinclair, weshalb sollte ich ihn kennen? Er ist für mich ebenso fremd, wie ich es für ihn bin.«
»Vielleicht«, gab ich ihm teilweise recht. »Aber ich werde einfach die Vorstellung nicht los, daß dieser Unbekannte mit den dunklen Haaren, der südländisch aussah, etwas mit dem Fallbeil-Mann zu tun hat.«
»Ich kenne ihn nicht. Er hat hier nicht gelebt. Er wird auch nicht zu unserer Ahnenreihe gehören. Sie haben die Bilder selbst in den Gängen gesehen. Erinnern Sie sich an einen schwarzhaarigen Menschen, der so aussah?«
»Das nicht.«
»Dann wird es besser sein, wenn Sie ihn vergessen. Ich habe schon der Oberin gesagt, daß wir nichts tun können. Das Schicksal hat es nicht gut mit uns gemeint, Mr. Sinclair.«
»Sie ergeben sich darin?«
»Ich persönlich schon.« Er breitete die Arme aus. »Was soll ich machen? Außerdem«, der Lord schniefte, »ist mir kalt. Ich werde wieder hineingehen. Kommen Sie mit?«
»Nein, ich bin noch nicht müde.«
»Oh«, gab er etwas blasiert zum Besten. »Haben Sie vor eine nächtliche Wanderung zu machen?«
»Auch.«
»Dann werde ich den Eingang nicht verschließen. Ich wünsche Ihnen trotzdem eine gute Nacht, Mr. Sinclair.« Er nickte mir zu, drehte sich um und ging.
Ich schaute auf seinen Rücken, der immer mehr in der Dunkelheit verschwand und runzelte die Stirn. Irgendwie kam ich nicht mehr zurecht.
Zumindest nicht mit dem Lord. Ich wurde aus ihm nicht schlau. Spielte er mir etwas vor? War er wirklich so naiv, wie er sich gab, oder hatte er es faustdick hinter den Ohren?
Ich tippte auf letzteres, drehte mich um und beschloß, mich später noch um ihn zu kümmern.
Dann ging ich zu meinem Rover, stieg in den feuchten Wagen ein und startete.
Mein Ziel war das Kloster!
***
Für mich wurde es eine Fahrt durch eine einsame und unheimliche Nacht, wenn ich daran dachte, was in der letzten Stunde passiert war.
Die Gegend war einsam, der nächste Ort lag mehr als zehn Kilometer entfernt und bestand nur aus einer Gruppe von kleinen Bauernhäusern, das war alles. Wenn was passierte, mußte die Polizei aus einem noch weiter entfernt liegenden Ort geholt werden, aber am liebsten kam man ohne sie aus.
Es stellte sich mir allmählich die Frage, ob ich allein zurecht kam. Suko war in London geblieben, denn unser Chef war der Ansicht gewesen, daß einer reichte, um einen Fall zu klären, von dem er nicht wußte, ob es überhaupt einer war.
Ich hatte das Gegenteil erlebt. Es war ein Fall! Er war böse und brutal.
Ich fuhr schneller, als ich ein gerades Stück erreichte. Rechts und links standen keine Bäume, die meinen Weg begleitet hätten. Alles war kahl.
Ich hatte freie Sicht rechts und links glitt über dunkle Felder, auf denen die Nebelschwaden lagen und sich wie dünne Leichentücher verteilten.
Ich wußte, daß dieser Weg nicht zum Kloster führte. Irgendwann ging es links ab. Bei Tageslicht war es kein Problem, den Weg zu finden, in der Nacht war es schon schwierig.
Vor mir senkte sich die Fahrbahn und führte hinein in eine Talmulde. Ich erinnerte mich, dort die Abzweigung entdeckt zu haben. Die Lichter der Scheinwerfer strahlten hinein in diese Schüssel, die mit grauem Dunst gefüllt war, als würde dort eine Suppe vor sich hin kochen.
Die kurze Reise wurde zu einer Fahrt ins Ungewisse. Ausgerechnet hier hatte sich der Nebel verdichtet. Manchmal blieb einem wirklich nichts erspart.
Um mich herum quollen Geister. Lautlos und gespenstisch stiegen sie aus der Waschküche in die Höhe, um im Licht ihre wallenden Tänze aufzuführen.
Aber es wurde besser, und ich entdeckte sogar das Hinweisschild, das auf einem alten Holzpfahl stand.
Weitere Kostenlose Bücher