0959 - Der Fallbeil-Mann
meine Schuhspitzen, so daß ich befürchten mußte, nasse Füße zu bekommen, aber das war alles zweitrangig, denn ich entdeckte, was mit dem Wasser geschah.
Irgendwo in der Tiefe mußte sich etwas in Bewegung gesetzt haben.
Das Wasser nahm plötzlich einen dunkelroten Schein an, als sollte es in Blut verwandelt werden.
Ich konnte mir nicht erklären, woher die unheimliche Farbe kam. Aus der Tiefe, aus dem schlammigen Boden?
Das blutige Leuchten blieb, und es machte, so seltsam dies auch war, den Teich auf eine gewisse Art und Weise durchsichtig, so daß ich bis auf den Grund schauen konnte.
Rot wie Blut. Das unheimliche Licht - und Szene, die sich hineinschob!
Ich hielt den Atem an, denn aus der Tiefe stiegen die Schatten empor, die wie lange, dunkle Gardinen in die Höhe schwangen, um die Oberfläche zu erreichen.
Tatsächlich nur Schatten?
Nein, da war auch ein Mensch. Ein Mann, eine Projektion, die zumindest echt aussah: ein Mann mit nacktem Oberkörper und nur mit einer Hose bekleidet. Er hatte dunkle, lockige Haare, und seine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Er schaute dabei in die Höhe, als wollte er die Sterne grüßen, und einen Moment später erschien hinter ihm ebenfalls ein Schatten.
Der Fallbeil-Mann, der Henker, über dessen Kopf eine Kapuze gestreift war.
Er stand dort wie eine Drohung, und ich wußte, daß dieser Mann mit den schwarzen Haaren ein Opfer des Fallbeil-Mannes werden würde.
Ich war fasziniert. Vielleicht bewegte sich die bis jetzt noch starre Szene, aber sie tat mir nicht den Gefallen. Plötzlich wehte ein Windstoß über die Oberfläche. Das Wasser geriet in kräuselnde Wellenbewegungen, und einen Augenblick später war diese Szene verschwunden, als hätte es sie nie zuvor gegeben.
Ich atmete tief aus. Ich hörte das leise Klatschen der Wellen dicht vor meinen Füßen und kam mir vor wie jemand, der aus einem Traum erwacht war.
Hier hatte sich mir etwas Neues offenbart. Den Henker kannte ich bereits, nicht aber den Mann mit den schwarzen Haaren, der in diesem Fall eine sicherlich nicht unwesentliche Rolle spielte.
Über meine Arme rann schon eine Gänsehaut, als ich mich umdrehte und über meine Augen wischte. Ich wollte nicht an eine Halluzination glauben. Dieses Bild war erschienen als eine Projektion aus der Vergangenheit, und es hatte mir sicherlich eine Botschaft bringen sollen.
Noch stand ich vor einem Rätsel, und ich nahm mir vor, den Lord nach dem Mann mit den dunklen Haaren zu fragen.
Der Klang von Stimmen lenkte mich ab. Ich drehte mich wieder um und schaute zum Eingang des Schlosses hin, wo das helle Licht der Scheinwerfer die Dunkelheit zerriß.
Sicherlich waren die Nonnen mit ihrer makabren Arbeit fertig und würden losfahren. An meinem Plan, dem Kloster noch in dieser Nacht einen Besuch abzustatten, hatte sich nichts geändert, nur wollte ich die Nonnen erst abfahren lassen.
Sie waren eingestiegen und starteten.
Ob der Lord sie vor seinem Schloß verabschiedete, sah ich nicht, aber ich machte mich wieder auf den Weg, als das Fahrzeug gestartet war.
Wieder nahm ich den schmalen Pfad, passierte meinen Rover und schaute dann dorthin, wo der Torso gelegen hatte.
Die Stelle war leer. Also hatten die Nonnen ihre tote Schwester mitgenommen.
»Es ist alles in Ordnung, Mr. Sinclair.«
Ich erschrak leicht, als ich die Stimme des Lords hörte. Er stand vor dem Eingang und hatte wohl auf mich gewartet. Da dort kein Licht brannte, hatte ich ihn auch nicht sehen können, und so ging ich zu ihm. Ich roch seinen Whiskyatem und er sah meinen fragenden Blick, den er richtig deutete.
»Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen, Mr. Sinclair. Die ehrwürdigen Schwestern haben ihre Pflicht getan, auch wenn es ihnen schwergefallen ist, aber sie wissen ihr Schicksal zu tragen, und daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.«
»Meinen Sie?«
»Was wollen Sie dagegen tun?«
»Eigentlich nichts«, sagte ich leise. »Aber ich habe mich hier auch umgeschaut.«
Der Lord hob die Schultern. »Es ist einfach zu dunkel, um etwas sehen zu können…«
»Wirklich?«
Der Klang meiner Stimme hatte ihn neugierig gemacht. »Ho, das hört sich an, als hätten Sie etwas entdeckt.«
»Durchaus möglich, Sir. Ich hielt mich am Teich auf, weil ich dort vor einer Entdeckung sicher war. Nur habe ich selbst dort etwas entdeckt, und zwar im Wasser.«
Der Mann runzelte die Stirn und sah so aus, als könnte er mir kein Wort glauben. »Im Wasser?« fragte er
Weitere Kostenlose Bücher