0959 - Der Fallbeil-Mann
Nach links lenkte ich den Wagen, um einen schmalen Weg zu erreichen, der durch ein Feld führte, später in eine kleine Senke hinein, aus der ein dunkler Klotz in die Höhe wuchs, der nicht so groß war wie das Schloß, aber noch düsterer wirkte.
Der Nebel war etwas zurückgewichen. Ich überlegte schon, ob ich das Licht der Scheinwerfer nicht löschte, denn ich wollte nicht zu früh entdeckt werden. Auch wenn ich die Strecke nicht kannte, riskierte ich es. Gemächlich rollte ich durch die Dunkelheit weiter. Begleitet wurde ich auf der rechten Seite von einer Hecke.
Bis zum Kloster war es nicht mehr weit. Ich kam besser zurecht, wenn ich mich ihm zu Fuß näherte. Also ließ ich den Wagen stehen.
Die Tür drückte ich leise ins Schloß, dann blieb ich für eine Weile in der Stille stehen, um die Umgebung auf mich einwirken zu lassen.
Nebelgeister umwehten mich wie blutleere und körperlose Gestalten aus dem Totenreich. Es war nicht unbedingt still um mich herum, denn gewissen Geräusche durchbrachen die Finsternis. So hörte ich das Klatschen von Vogelschwingen. Wahrscheinlich Tiere, die durch mein Erscheinen aus dem Schlaf gerissen worden waren.
Ich konzentrierte mich auf das Kloster. Es war so nah, daß ich hätte Stimmen hören müssen, aber es blieb ruhig. Es mochte die Stille der Trauer sein, und ich fragte mich, was die Nonnen wohl mit ihrer toten Schwester taten.
Vielleicht wurde sie begraben.
Vielleicht bewahrte man sie auch in der kleinen Hauskapelle auf. Es gab da wirklich mehrere Möglichkeiten, und ich wollte herausfinden, was die Oberin Anna mit der Toten tat. Auf dem offiziellen Weg würde man mich nicht in das Kloster hereinlassen, dazu noch nach Mitternacht, also ging ich erst gar nicht auf den Eingang zu, sondern näherte mich direkt der Rückseite des Klosters, wo ich auch die kleine Kapelle entdeckte. Sie fiel mir sofort auf, denn ihr Dach überragte die Klostermauer.
Es bellte kein Hund. Ich sah auch keine Wächterinnen, als ich an der Mauer entlangschlich und nach einer günstigen Stelle Ausschau hielt, um darüberzuklettern.
Das Gestein war im Laufe der Zeit von dichtem Pflanzenwuchs überwuchert worden. Auch auf dem Rand der Mauer breiteten sich Pflanzen aus, ineinander verschlungen, beinahe wie Lianen in einem tiefen Dschungel. Mit Hilfe des Pflanzengestrüpps und einzelner Mauervorsprünge, die ich als Treppe benutzte, gelangte ich nach oben.
Die Gewächse waren feucht und glitschig geworden. Ich mußte mich schon anstrengen, hatte aber Glück, daß hier keine Pflanzen mit Stacheln oder Dornen vertreten waren.
Endlich hatte ich die Mauerkrone erreicht und blieb auf ihr bäuchlings liegen.
Geschafft!
Ich atmete aus. Auf meiner Stirn lag der kalte Schweiß. Diese Kletterei hatte mich schon angestrengt. Während ich da oben lag, schaute ich zu, wie der Atem vor meinen Lippen kondensierte.
Gesehen oder gehört hatte mich niemand. Zumindest näherte sich keine Nonne der Mauer, um nachzuschauen, was die Geräusche zu bedeuten hatten. Ich blieb auf der weichen Unterlage zunächst einmal liegen, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Der Klostergarten und die Rückseite des Gebäudes lagen eingepackt in einer tiefen Stille. Dort tat sich nichts, und ich war ein wenig enttäuscht, weil ich damit gerechnet hatte, die eine oder andere Nonne draußen zu sehen.
Das war nicht der Fall. Sie hielten sich drinnen auf.
Vom Haus her führte ein Weg zu der kleinen Kapelle, der sich wie ein heller Streifen auf dem Boden abmalte. Nicht ein Licht durchbrach die neblige Finsternis und stiller konnte es auch nicht sein, aber ich mißtraute dieser Ruhe. Rein vom Gefühl her kam sie mir irgendwie künstlich vor.
Noch lag ich auf der Mauer. Bevor die Feuchtigkeit durch meine Kleidung dringen konnte, sorgte ich für Abhilfe und sprang zu Boden. Mit beiden Füßen landete ich auf einem Beet, das nicht weit von der Mauer entfernt angelegt worden war. Man hatte die Fläche mit Grünzeug bedeckt, gegen die Kälte Tannen- und Fichtenzweige bildeten ein wippendes Bett, auf dem ich stehenblieb, um mich abermals umzuschauen.
Keiner hatte mich bemerkt. Ich sah auch nicht den Wagen, mit dem die Nonnen die Leiche abgeholt hatten.
Zum Haus oder zur Kapelle? Ich mußte mich entscheiden, wohin ich gehen sollte.
Das Haus hatte einen Hintereingang. Er lockerte die Reihe der kleinen Fenster auf, hinter denen die Zimmer oder Zellen der Nonnen lagen.
Nicht zum erstenmal hielt ich mich in einem Klostergarten auf. Ich
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