0959 - Der Fallbeil-Mann
hatte da meine Erfahrungen sammeln können und hatte schon oft erlebt, wie die Mächte der Hölle in die fromme Phalanx der Schwestern eingedrungen waren und sie zu ihren Spielbällen gemacht hatten.
Ob das auch hier der Fall war, mußte ich erst herausfinden.
Ich hatte mich dazu entschlossen, die Kapelle zu besuchen. Aber nicht auf dem normalen Weg, sondern quer durch den Garten, der in einer winterlichen Stille lag. Der Frost steckte nicht mehr im Boden. Er war wieder getaut und an manchen Stellen sackte ich beinahe bis zu den Knöcheln in den wieder weichen Untergrund.
In die kleine Kapelle ging ich nicht hinein, sondern suchte mir ein günstig liegendes Fenster aus, Von dem aus ich sowohl die rechte als auch linke Hälfte der Kapelle überblicken konnte, falls die Scheibe nicht zu schmutzig war.
Ich hatte schon meine Probleme, als ich hindurchschauen wollte. Die Bänke und den Altar sah ich schemenhaft. Ob sich jemand im Innern der kleinen Kirche aufhielt, war nicht zu erkennen.
Ein Fenster wollte ich nicht einschlagen, um die Kapelle zu betreten, deshalb blieb ich vor der Tür noch einmal stehen und schaute mich um.
Stille - kalt und feucht umgab mich. Nichts war zu sehen. Nichts bewegte sich, abgesehen von den dünnen Gardinen aus Dunst, die mich nicht weiter störten.
Ich drückte die kalte Metallklinke nach unten und achtete dabei nicht auf das schleifende Geräusch, als ich die Tür der kleinen Kapelle aufzog und daran denken mußte, wie oft ich schon in Kirchen Entdeckungen gemacht hatte. Ich war jetzt davon überzeugt, daß mir diese so leer wirkende Kapelle eine Überraschung bieten würde.
Obwohl mir die Zeit nicht eben reichlich vorkam, wartete ich ab, bis die Tür hinter mir zugefallen war.
Die Dunkelheit lastete zwischen den Wänden, doch ich fand mich zurecht.
Es gab die Bänke, den Mittelgang und den kleinen Altar weiter vorn.
Er war mein Ziel. Und anschließend, so hoffte ich, würde ich noch den Zugang zu der Sakristei finden, wo wahrscheinlich die Toten aufgebahrt wurden.
Ich konnte mir auch vorstellen, daß die Nonnen dort Totenwache hielten.
So etwas gehörte einfach dazu, auch wenn ihre Mitschwester auf eine so schreckliche Weise ums Leben gekommen war.
Der Gang zwischen den Bankreihen war nicht eben breit. Auf halber Strecke zum Altar irritierte mich etwas. Ich kam damit nicht zurecht, denn nicht weit vom Altar entfernt, schienen helle Totenarme in der Finsternis zu schweben.
Ich schluckte, dann wischte ich über meine Augen, aber das Bild blieb.
Das waren aber keine Totenarme, obwohl sie so bleich wie Leichenfett aussahen.
Als ich näher kam erkannte ich auch meinen Irrtum. Was ich als in der Luft schwebende Leichenarme identifiziert hatte, war nichts anderes als helle Wachskerzen, die in dunklen Haltern steckten und deshalb so ausgesehen hatten, als würden sie in der Luft schweben.
Kerzen also.
Vier an der Zahl.
Ich glaubte nicht daran, daß sie ihren Platz immer zwischen dem Altar und der ersten Bankreihe gehabt hatten. Daß man sie so aufgebaut hatte, mußte einen Grund haben. Wahrscheinlich flankierten sie einen Gegenstand, der sich auf dem Boden befand.
Ich erreichte die erste Reihe, schaute zu Boden, als ich stehenblieb, und erkannte den Grund.
Die Kerzen umstanden einen offenen Sarg. In dem Sarg lag eine Frau.
Ich holte tief Luft, als ich das bleiche Totengesicht der Nonne sah, deren Augen nun geschlossen waren. Es war auch nicht zu erkennen, daß jemand den Kopf vom Rumpf getrennt hatte.
Die Nonne lag auf dem Rücken und sah auf den ersten Blick völlig normal aus, auch wenn sich zwischen Rumpf und Hals ein dunkler Streifen befand. Eine Kette, wie ich bei genauerem Hinsehen entdeckte.
Das Gesicht der Toten war gereinigt worden. Ich entdeckte keinen Ruß und auch keinen Schmutz auf der Haut, als ich vor dem Sarg hockte. Die Mitschwestern hatten die Tote bereits gewaschen.
Sie trug noch ihre Kleidung. Das Totenhemd war ihr nicht angelegt worden, aber ich wollte sie mir genauer anschauen. Dafür brauchte ich Licht.
Deshalb holte ich die kleine Lampe hervor und deckte ihren Strahl mit der linken Hand ab, als ich sie einschaltete. Zu starkes Licht würde zu schnell auffallen.
Das Gesicht der Toten hatte etwas Engelhaftes an sich. Ich sah auf den Lippen zwar kein Lächeln, doch der dort herrschende Ausdruck sprach von einer gewissen Zufriedenheit, die sie mit in das Reich der Toten genommen hatte.
Mich umgab diese andächtige Stille, und ich schaltete die
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