0960 - In den Nebeln
gütlich getan. Der stechende Blick ihrer erbarmungslosen kalten Augen, die so pechschwarz wie der Rest der Kreatur waren und wie zwei perfekt polierte Obsidianperlen glänzten, glitt über die vor Angst zitternden Dämonen.
Dann ertönte ihre Stimme, und der liebliche, sirenenhafte Klang, der auf so grausam ironische Weise aus dem Mund dieses entsetzlichen Wesens drang, ließ auch den letzten der Dämonen wimmernd zusammenbrechen. »Meine lieben Kinder«, begann sie, und das Gefühl des Entsetzens, das diese eigentlich so harmlosen Worte in den Dämonen auslösten, ließ jeden einzelnen von ihnen fast den Verstand verlieren. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass hier zwei Fremde aufgetaucht sind, die in den Nebel eindringen wollten. Wer kann mir etwas darüber berichten?« Panische Stille breitete sich aus, und jeder sah zu Boden und hoffte inständig, er selbst sei damit nicht angesprochen.
»Nun?«, forderte die Kreatur. »Wenn sich niemand freiwillig meldet, dann werde ich jemanden auswählen, bis mir einer von euch sagen kann, was ich wissen will.« Sie ließ den Blick abwägend durch die Menge schweifen. »Du da!«, rief sie dann und deutete auf einen mittelgroßen Dämon, der wie eine Mischung aus einer haarlosen Ziege und einer Fledermaus aussah und vor Schreck sofort wie eine Kröte in der Winterstarre verharrte. »Berichte mir, was du gehört und gesehen hast!« Um den Dämon herum bildete sich eine Gasse, und hier und da hörte man das erleichterte Aufatmen derjenigen, die es dieses Mal nicht erwischt hatte.
Der unglückliche Auserwählte trat zögerlich vor, bis er zu den Füßen seiner Herrin stand, die er mehr als alles andere fürchtete und ohne die er dennoch nicht existieren konnte. Er konnte sich dieses Gefühl selbst nicht erklären. Damals in der Hölle war er auch einem anderen Dämon unterstellt gewesen, der ihn nicht immer freundlich behandelt hatte. Allerdings war Freundlichkeit unter Dämonen auch keine weitverbreitete Eigenschaft, daher hatte er sich nicht beschweren können.
Doch schließlich hatte er die Schwefelklüfte mit der Erlaubnis seines Vorgesetzten, den er in einem seltenen gnädigen Moment darum gebeten hatte, vor einiger Zeit verlassen, um in der Welt der Menschen Karriere zu machen. Er hauste unter einer Brücke, von wo aus er unachtsame Kinder auf ihrem Schulweg an den Knöcheln packte, sie in die Tiefe zog und sie dann dort verspeiste. Er hatte seinem Vorgesetzten natürlich regelmäßig Bericht erstattet und ein relativ freies und überaus befriedigendes Leben geführt.
Doch als es die Hölle dann plötzlich nicht mehr gab, und mit ihr auch sein Vorgesetzter vernichtet worden war, hatte er sich verloren und orientierungslos gefühlt. Jegliche Routine und Stabilität war von einer Sekunde auf die andere ausgelöscht worden und hatte ihn ohne Halt zurückgelassen. Er hatte sich Führung gewünscht, doch bekommen hatte er eine Tyrannin, die schlimmer als alle anderen Herrscher war. Aber weder er noch all die anderen Dämonen am Rand des Nebels konnten sich ihr entziehen. Sie herrschte mit Willkür über sie, sie war nur eine, doch niemand wagte es, sich ihr entgegenzustellen, denn sie konnte ungehindert in den Nebel gehen und musste daher mächtiger als sie alle zusammen sein. Es ging sogar das Gerücht, dass sie durch nichts zerstört werden konnte, weil die Macht des Nebels selbst wie Blut durch ihre Adern fließe.
»Also, was kannst du mir berichten?«, gurrte sie, und den Dämon überkam eine verwirrende Welle aus Übelkeit und Entzücken.
»Ich… ich saß mit einigen anderen am Feuer, als zwei Gestalten zu uns kamen und fragten, was wir über den Nebel wüssten. Aber ich habe ihnen nichts verraten, Herrin, das schwöre ich. Urkonis war derjenige, der mit ihnen sprach. Er versuchte, sie davon abzuhalten, doch schließlich gingen sie in den Nebel.«
»Und wer waren die beiden, dass sie sich in den Nebel wagten? Warum fürchteten sie sich nicht davor, darin vernichtet zu werden?«, verlangte die Tyrannin zu wissen. Obwohl ihre Stimme nach wie vor lieblich klang, wirkte sie ungehalten darüber, dass jemand ohne ihre Erlaubnis oder ihr Wissen in den Nebel eingedrungen war. Die Luft um sie herum knisterte vor aufgeladener Spannung, als die Stimmung dieser launischen Kreatur zu kippen drohte. Der arme Dämon hoffte, dass sie heute gnädig genug gestimmt war, um ihre Wut wenigstens nicht an ihm auszulassen.
»Sie waren keine einfachen Dämonen so wie ich und meine wertlosen
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