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0960 - In den Nebeln

0960 - In den Nebeln

Titel: 0960 - In den Nebeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Klüver
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Statuen und Straßenlaternen, an denen Asmodis und Fu Long vorbeikamen, schienen regelrecht zu leben, da die Ranken, die sie im Würgegriff hielten, ständig wuchsen und immer in Bewegung waren. Von dem ursprünglichen Gegenstand sah man nichts mehr, es war, als hätten die Pflanzen das Stadtbild Stück für Stück ersetzt und dessen Form angenommen. Das dämmrige, kaum ausreichende Licht, das zwischen einem grünlichen Schimmer und den fahlen Reflexionen des Nebels wechselte, tat sein Übriges, um der Umgebung eine bedrückende Atmosphäre zu verleihen. Hier gab es weder Tag noch Nacht, sondern nur das ewig gleiche Zwielicht. Der ganze Ort schien sich stets kurz vor der Dämmerung zu befinden, doch die Sonne ging nie auf, und auch der Mond ließ sich nicht blicken. Der Himmel war lückenlos bedeckt, und die wolkenartigen Nebelschwaden hingen so tief, dass sie sich an vielen Stellen mit den wabernden Dünsten, die vom Boden aufstiegen, vermischten und so dafür sorgten, dass alles, was sich nicht direkt vor einem befand, im Ungewissen blieb.
    Immer wieder tauchten in dem Gewirr Pflanzengebilde auf, die eine verdächtig menschliche Gestalt aufwiesen, was kaum Zweifel daran ließ, dass auch viele der ehemaligen Bewohner der Stadt ein Teil dieses Dschungels geworden waren. Die Luft um sie herum war feucht und stickig wie in einem Gewächshaus, und es roch modrig. Abgestorbene Pflanzenteile bedeckten den Boden und faulten vor sich hin, während ihre lebenden Nachkommen sich von dort in die Höhe reckten. Zwischen den toten Blättern und vertrockneten Ranken fanden sich immer wieder die Überreste der menschlichen Zivilisation, die hier einst anstelle der Pflanzen gediehen war. Undefinierbare Teile aus Plastik, die vermutlich hauptsächlich Abfall waren, lagen neben verrosteten Autoteilen und zerrissener menschlicher Kleidung, die alles zu sein schien, was von den Bewohnern der Metropole noch übrig geblieben war. Alles, was aus verrottenden Materialien bestand, befand sich in einem Zustand der Zersetzung oder war selbst zu einer der unzähligen Pflanzen geworden. Andere Lebewesen schien es nicht zu geben. Weder Säugetiere noch Vögel waren zu sehen oder zu hören, und offenbar hielten sich in dieser lebensfeindlichen Umgebung noch nicht einmal anpassungsfähige Reptilien oder Insekten auf. Ein gewöhnlicher Dschungel hätte vor Leben überquellen müssen, doch hier regten sich nur die Pflanzen. Sie verursachten auch die einzigen Geräusche, was dem Urwald noch eine zusätzliche unheimliche Eigenart gab. Auf exotischen Vogelgesang und die Rufe diverser Primatenarten, die aus dem Dickicht drangen, hoffte man hier vergeblich. Es raschelte und knackte zwar ständig, doch es waren immer nur die Pflanzen. Man konnte leicht das Gefühl bekommen, nicht mehr auf der Erde, sondern auf einem fremden Planeten zu sein, der zwar Ähnlichkeiten mit der Erde aufwies, aber doch völlig anders war.
    »Das sind auf keinen Fall gewöhnliche Pflanzen«, stellte Fu Long fest.
    »Ach, meinst du?«, kam Asmodis' sarkastische Antwort zurück. »Wie bist du nur darauf gekommen. Warte, sag's mir nicht. Es ist die Tatsache, dass dieses Unkraut eine ganze Stadt überwuchert hat, als wären die Abwässerkanäle hier mit radioaktiven Abfällen gefüllt! - Selbstverständlich sind das keine normalen Pflanzen. Sie haben irgendeinen übernatürlichen, vermutlich dämonischen Ursprung und wuchern fröhlich im mystischen Nebel herum. Und da sie uns bisher nicht auch überwuchert haben, wie das bei den Menschen geschehen ist, gehe ich davon aus, dass sie uns nicht gefährlich werden können, also sollten wir sie einfach ignorieren und weitergehen.«
    »Aber wohin gehen wir überhaupt?«, wollte Fu Long wissen. »Ich habe schon seit unserer Ankunft das Gefühl, dass du keinen blassen Schimmer hast, wo wir hin müssen.«
    »Du kannst ja gerne die Pflanzen nach dem Weg fragen«, knurrte Asmodis. Dann blieb er plötzlich stehen und sah sich um. »Piccadilly«, murmelte er. Die Pflanzen veränderten zwar die Optik, aber es bestand kein Zweifel. »Wir sind am Piccadilly Circus.« Nun sah sich auch Fu Long genauer um. In einem Kreis um sie herum standen die Überreste hoher Gebäude, die zum größten Teil alt wirkten. Sie hatten viele Jahre überdauert und den Zweiten Weltkrieg überstanden.
    Doch nun waren sie einer Macht zum Opfer gefallen, die sie erbarmungslos zermürbte, bis irgendwann nichts mehr von ihnen übrig sein würde. Die riesigen Leuchtreklamen,

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