0963 - Der Verfluchte aus Atlantis
gewisse Routine schließen. So etwas war ein regelrechter Meisterschluck.
»Tat es gut?« erkundigte ich mich, als Leary das Glas abgestellt hatte.
»Sehr sogar.« Die Antwort hatte ehrlich geklungen.
»Möchten Sie noch ein Glas?« Für einen Augenblick kam es mir vor, als zögerte er, dann schüttelte er den Kopf.
»Eines reicht wohl, Mr. Sinclair.«
»Das müssen Sie wissen. Doch jetzt hätte ich gern den Namen von Ihnen gehört.«
Er faßte sich an die Stirn. »Natürlich. Der pensionierte Totengräber heißt James Jarrel.«
Lange brauchte ich nicht zu überlegen. Gehört hatte ich diesen Namen noch nicht. Auch Suko schüttelte den Kopf. Er kannte ihn ebenfalls nicht.
»Die Adresse kennen Sie sicher, Mr. Leary?«
»Ich war mal bei ihm. Ganz kurz nur, denn er wollte mir etwas zeigen.« Leary lächelte verlegen.
»Jarrel sammelt Totenanzeigen, aber nur die originellsten, verstehen Sie?«
»Jeder hat ein Hobby. Sie nicht?«
»Nein.« Leary wirkte etwas verlegen. »Oder ja«, gab er dann zu. Dabei errötete er. »Ihnen kann ich es ja sagen, Sie werden sicherlich schweigen. Ich sammle Comics.«
»Oh«, sagte Suko, da ich sprachlos war. »Comics? Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Es ist ein Hobby.«
»Schon gut.«
Ich erhob mich. »Kommen Sie, Mr. Leary. Da Sie den guten James Jarrel kennen, werden Sie uns zu ihm begleiten.«
Das gefiel ihm weniger. »Muß das denn sein? Ich komme mir dabei vor wie ein Verräter.«
»Sie werden ihm möglicherweise ins Gewissen reden können, Mr. Leary. Er hat sich strafbar gemacht, das steht fest. Schändung der Gräber. Störung der Totenruhe. Gerade als Totengräber hätte er das wissen müssen. Ich verstehe auch seine Motive nicht.«
»Das bringt ihm Geld, glaube ich.«
»Ja, schon, aber er muß ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu seiner Arbeit gehabt haben. Jedenfalls müssen wir ihm einige Fragen stellen.« Ich hörte aus Sukos Richtung ein Brummen, das nicht eben zustimmend klang. Ihm gefiel es nicht, das Büro zu verlassen, und den Blick, den er mir zuwarf, den kannte ich auch. Er beinhaltete eine Frage. Warum fährst du nicht mit Leary allein?
Bevor er es vorschlagen konnte, nahm ich ihm das Wort aus dem Mund. »Sir James hat uns beiden den neuen Job überlassen. Daran solltest du denken.«
»Wieso? Ich habe nichts gesagt.«
»Aber gedacht.«
»Das darf ich doch wohl - oder?«
»Nur manchmal«, gab ich grinsend zurück. »Ansonsten sollte man das Denken den Pferden überlassen, die haben größere Köpfe.«
Jason Leary sagte nichts: Aber er staunte über unseren Umgang. Das war er als Prediger nicht gewohnt. Aber hier hatte er es auch mit Lebenden und nicht mit Toten zu tun.
***
Es war nicht zu fassen, aber es stimmte. Das alte Skelett hatte sich bewegt.
James Jarrel hörte den eigenen Herzschlag überlaut. Er wunderte sich, daß er noch in der Lage war, kritische Gedanken zu fassen. Gedanken, die sagten ihm, daß es ein Fehler gewesen war, dieses außergewöhnliche Grabmal zu öffnen. Sie hatten hier etwas an die Oberfläche geholt, das besser in der Dunkelheit geblieben wäre.
Santer und Gordy hatten nichts gesehen. Sie waren in ihren eigenen Gedanken versunken. Wahrscheinlich rechneten sie noch immer nach, wieviel Geld ihnen das Skelett bringen würde.
Nach einigen Sekunden war Jarrel wieder soweit, um hinschauen zu können. Er spürte die Kälte in seinem Innern. Er saugte die Luft ein, seine Lippen bewegten sich, ohne daß er sprach.
Die Erinnerung kehrte zurück. Nach der Entdeckung war sie einfach weg gewesen. Da hatte er unter Schock gestanden. Der Knöcherne hatte seine linke Hand bewegt. Dort hatten die Finger einmal kurz gezuckt. Dies war keine Einbildung gewesen, und er konzentrierte seinen Blick deshalb auf die Hand.
Jetzt lag sie ruhig. Das Fleisch war längst abgefallen. Die dünnen Knochen schimmerten hell. Viel zu hell für ein Skelett, denn da kannte sich der ehemalige Totengräber aus. Er wußte schon, wie altes Gebein aussah. Jedenfalls nicht so wie dieses hier, und das machte ihn zusätzlich nervös.
Schon jetzt ging er davon aus, daß dieser Fund anders war als die bisherigen.
Mit dem Knöchernen stimmte etwas nicht.
Lebte das Skelett wirklich?
Er wollte es nicht wahrhaben, und er wünschte sich, einer Täuschung erlegen zu sein. Aber glauben konnte er das nicht.
Am anderen Ende des Sarkophags standen seine Helfer. Verdammt, auch sie mußten doch etwas gesehen haben, aber sie hatten nichts gesagt.
»He!«
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