0967 - Geister aus der Zukunft
zurückkehrte. Sie hörte sich selbst leise stöhnen und dann die Stimme der Bedienung. »Ist Ihnen nicht gut, Frau Sendi?«
Ramona atmete tief aus. Sie hob den Kopf und schaute dabei in das besorgte Gesicht der schon älteren Frau mit der weißen, frisch gestärkten Schürze. »Danke, es geht schon. Ich, ich habe…«, sie lächelte plötzlich, »einfach Hunger.«
»Dem kann natürlich abgeholfen werden.« Auf dem Tablett stand alles bereit. Die beiden Brötchen, ein normales, eines mit Vogelfutter beklebt, dann die beiden Scheiben Käse, auch die Wurst, ebenfalls zwei Scheiben, und natürlich das weich gekochte Ei, das Ramona jeden Morgen zur Frühstück aß. Dafür verzichtete sie auf die Konfitüre. Der Kaffee befand sich in einer Warmhaltekanne, und die erste Tasse wurde ihr eingeschenkt.
»Dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit, Frau Sendi.«
»Danke, Ingrid.«
Die ältere Frau ging wieder. Sie deckte einen Nachbartisch ab, wo die Gäste schon gefrühstückt hatten. Ramona wußte, daß dort immer ein älteres Ehepaar saß, das seine Wanderferien in der guten Luft des Harzes verbrachte.
Sie aß zuerst das Ei. Es schmeckte vorzüglich und stammte nicht aus irgendeiner Billigproduktion. Auch die Brötchen waren frisch, und Ramona aß sogar beide.
Sie hätte sich gut fühlen können, sogar müssen, aber die schlechten Gedanken blieben. Sie war einfach nicht in der Lage, sie zu vertreiben.
Ständig mußt sie an ihre Verfolger denken, und sie schaute auch immer wieder durch das Fenster, ob sich draußen etwas tat. Möglicherweise neue Gäste eintrafen, denen sie mit großem Mißtrauen begegnete. Neue Autos standen nicht auf dem Parkplatz. Alles wies darauf hin, daß sich nichts verändert hatte. Trotzdem fror sie innerlich, und dieses Gefühl kannte sie gut genug, Nach der dritten Tasse Kaffee war die innerliche Kälte zwar nicht verschwunden, aber Ramona Sendi war entschlossen, nicht klein beizugeben. Sie wollte und würde weitermachen und genau dorthin gehen, wo sie hinlaufen mußte.
Es hatte wirklich keinen Sinn, seinem Schicksal davonlaufen zu wollen.
Mit einer entschlossenen Bewegung stand sie auf. Hinter oder auf ihrer Stirn, so genau war das nicht herauszufinden, tuckerte es leicht.
Ramona wußte, was das bedeutete. Es lag an ihrem dritten Auge, das sich auf diese Art und Weise bemerkbar machte, sich aber noch nicht offen zeigte.
Nicht mehr lange, das wußte sie auch. Hastig schon lief sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie wollte sich noch einmal die Zähne putzen, um den schlechten Geschmack aus dem Mund zu bekommen, den nicht nur der Kaffee hinterlassen hatte. Sie spürte auch ihre Galle, zumindest deutete der bitter Geschmack darauf hin.
Ramona war so nervös, daß sie Mühe hatte, das Schlüsselloch zu finden. Dann endlich konnte sie den Schlüssel drehen - und stoppte plötzlich. Alarmsignale huschten durch ihren Kopf. Sie wußte genau, daß sie ihre Zimmertür abgeschlossen hatte, nun aber war sie offen.
Wie elektrischer Strom rieselte es über ihren Körper hinweg. Sie blieb noch auf der Schwelle stehen, als sie die Tür geöffnet hatte. Der Blick in das Zimmer.
Leer…
Ramona saugte die Luft durch die Nase ein. Etwas war anders geworden, als hätte jemand seine Spuren hinterlassen. Zumindest hatte sich der Geruch verändert.
Das Bett war noch nicht gemacht worden. Sie schaute zum Fenster hin, wo sie ebenfalls kein Gesicht hinter der Scheibe sah. Dann blickte sie nach rechts, wo der Schrank stand. Er war ziemlich schmal, aber ein Mensch konnte sich darin schon verstecken.
Gern hätte sie eine Schußwaffe gehabt. Aber sie besaß nur ein Taschenmesser, und das steckte in ihrer grünen Wanderjacke.
Ruckartig öffnete sie den Schrank und ging sofort einen kleinen Schritt zurück, um Distanz zwischen ihn und sich zu bringen, sollte jemand aus dem Halbdunkel nach vorn stürmen.
Nichts geschah.
Der Schrank war bis auf ihre wenigen Kleidungsstücke leer. Niemand hielt sich dort versteckt, und sie atmete auf. Das schlechte Gefühl hätte eigentlich weichen müssen, leider verschwand es nicht, denn Ramona spürte noch immer den Druck.
Ihr Blick streifte die geschlossene Tür des kleinen Badezimmers. Da gab es noch den zweiten Raum. Plötzlich strahlte wieder die gleiche Spannung in ihr hoch, wie sie es schon einmal gespürt hatte. Sie fühlte sich kalt und heiß zugleich an, und ihr Herz klopfte plötzlich viel stärker.
Über den Nacken rieselte eine Gänsehaut, als hätte sie von
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