0967 - Geister aus der Zukunft
der Klinke her einen elektrischen Schlag bekommen.
Mit dem Fuß trat sie die Tür auf. Nun sah Ramona immer mehr von ihrem kleinen Bad, aber sie entdeckte keinen Fremden.
Dennoch übertrat sie vorsichtig die Schwelle. Auf dem gefliesten Boden entdeckte sie ein paar dunkle Flecken, die aussahen wie Blut und auch Blut waren. Sie zeichneten einen Weg bis hin zur Duschkabine.
Die Abtrennung mit dem Milchglas war dort zur Hälfte vorgezogen, so konnte Ramona nur einen Teil der Dusche überblicken. Aber sie sah den dunklen Gegenstand in dem Duschbecken.
Ramona zerrte die Abtrennung weg.
Freie Sicht!
Nein, sie schrie nicht, wie es Frauen und auch Männer bei diesem Anblick getan hätten.
In der Dusche verteilte sich das Blut und rann träge zum Abfluß. Es war aus der Kehle eines Hasen gesickert, dessen starrer Körper bald leer war…
***
Ramona Sendi saß in ihrem Twingo und kam erst jetzt wieder einigermaßen zu sich. Sie wußte nicht mal, ob sie das Haus schnell oder normal verlassen hatte. Alles war für sie plötzlich in weite Ferne gerückt.
Sie hatte den Eindruck gehabt, sich außerhalb der Realität zu bewegen.
Erst jetzt, als sie ihren Atem gegen die Frontscheibe blies, lichtete sich der Nebel, und es ging ihr wieder etwas besser, auch wenn der Druck auf der Stirn zugenommen hatte. Ramona bewegte den Kopf so, daß sie ihr Gesicht im Innenspiegel betrachten konnte.
Auf der Stirn malte sich ihr Erbe ab.
Sie hatte es gewußt, aber das war nicht der Grund ihrer Flucht gewesen.
Dieser ausgeblutete Hase in der Wanne war das letzte Zeichen gewesen, um zu beweisen, wie dicht ihr die Verfolger bereits auf den Fersen waren. Sie hielten sie bereits unter Beobachtung, und sie hatten es auch locker geschafft, ungesehen das Hotel und dann noch ihr Zimmer zu betreten. Oder gehörten sie doch zu den Gästen?
Die Frau beruhigte sich nur allmählich. Auch der Umriß des dritten Auges nahm ab. Sie würde nicht auf dem Parkplatz stehenbleiben und auch nicht mehr länger im Hotel warten. Für diesen Morgen hatte sie sich etwas vorgenommen, und dieses Vorhaben würde sie auch durchziehen, daran gab es nichts mehr zu rütteln.
Deshalb holte sie den Zündschlüssel hervor und startete den Motor. In der Eile hatte sie sogar noch ihre grüne Wanderjacke mitgenommen. Da war sie wirklich einem Automatismus erlegen.
Ramona rollte bewußt langsam über den Parkplatz. Das Knirschen der kleinen Steine hörte sie wie nebenbei. Für sie war die Umgebung wichtiger, doch da bewegte sich nichts. Kein anderer Fahrer stieg in sein Auto. Am Eingang zeigte sich für einen Moment die Bedienung, die einige Tischdecken ausschüttelte, das war alles. Die meisten Gäste saßen an den Frühstückstischen.
Das Zimmermädchen würde den Hasen entdecken, das stand für Ramona fest, aber sie würde sich darum nicht kümmern und später so tun, als hätte sie von nichts gewußt.
Den Weg, den sie fahren mußte, kannte sie gut. Er führte sie zuerst am Waldrand entlang, dann ein Stück durch den Wald, bis sie wieder eine freie Fläche erreichte, eine große Wiese, die in dieser Talsenke wie gemalt lag.
Sie war das Ziel. Dort war es geschehen. Und dort gab es noch immer so etwas wie einen Rest, sonst wäre dieser psychische Druck, die Stelle unbedingt erreichen zu wollen, nicht so groß geworden.
Für Ramona war es ein Platz des Schicksals, für die beiden anderen Psychonautinnen sicherlich auch, denn Ramona glaubte nicht daran, daß Dagmar und Thamar anders darüber dachten. Das war wie ein Zwang, der sie herholte. Vielleicht sogar an diesem Tag oder Abend, wenn die Dämmerung einfiel, denn so war es auch bei der ersten Begegnung gewesen.
Wenn die Verfolger tatsächlich in der Nähe lauerten, würde sie ihr Opfer nicht aus den Augen lasseh. Dementsprechend verhielt sich die Fahrerin auch, denn sie schaute öfter zurück als nötig, da sie mit ihrem Twingo als einzige auf dem ausgefahrenen Feldweg unterwegs war.
Wäre sie nach links gefahren, hätte sie schon nach wenigen Metern eine Straße erreicht, die das kleine Hotel mit dem Dorf verband, aber sie wollte weg von den Menschen.
Der Druck auf der Stirn war ebenso verschwunden wie der an ihren normalen Augen. Dort brannte nichts mehr. Sie konnte wieder schauen, sie sah alles normal. Zudem war die Luft klar, als hätte man sie in der vergangenen Nacht frisch gereinigt.
Überall war das neue Grün zu sehen. Die Natur war innerhalb weniger Tage regelrecht explodiert, als wollte sie die Menschen
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