0967 - Geister aus der Zukunft
sich dabei beobachten.
In den letzten Wochen war sie dicker geworden. Der Speck an den Hüften war nicht zu übersehen, auch die Oberschenkel malten sich ziemlich breit ab, aber das war ihr egal, denn irgendwelche Hungerkuren nur der Schönheit wegen, das wollte sie nicht ertragen. Darum ging es in ihrem Leben auch nicht, das auf eine gewisse Weise von einem alten Erbe, dem dritten Auge, überschattet war.
Ramona gehörte zu den Psychonautinnen, und sie lebte seit einer Woche versteckt in diesem kleinen Hotel, da sie genau wußte, daß man sie jagte.
Nicht nur sie allein. Es hatte schon eine Verbindung zu den anderen dreien bestanden, aber in den Tagen zuvor hatte sie nicht mehr daran gedacht, sie zu aktivieren.
Im Gegensatz zu Dagmar, Thamar oder Estelle sah sie das Erbe nicht als Berufung an, sondern mehr als einen Fluch, unter dem sie zeitlebens leiden würde. Sie hätte viel dafür gegeben, dieses Erbe loszuwerden, das war leider nicht möglich.
Hinzu kam noch die Entführung, und Ramona wohnte auch nicht zufällig in diesem einsamen Hotel, denn nicht allzu weit entfernt gab es den Ort, der sie besonders in der letzten Zeit so magisch angezogen hatte.
Schon beim Aufstehen hatte Ramona gewußt, daß sie an diesem Tag der Anziehung nicht würde widerstehen können. Sie mußte einfach hin, es war wie eine Sucht, und gleichzeitig so etwas wie eine Rückkehr zu den eigentlichen Wurzeln.
Mit diesen Gedanken zog sie sich an. Eine graue Hose, ein helles TShirt, einen weinroten Cardigan, dessen Enden bis zu ihren Hüften reichte. Die grüne Wanderjacke legte sie ebenfalls über den Arm, schaute sich noch einmal im Zimmer um, nahm den Schlüssel an sich und verließ den kleinen Raum.
Auf dem schmalen Flur war es düster. Nur am Ende malte sich ein kleines Fenster ab. Auch der Teppich konnte die Unebenheiten des Bodens nicht überdecken, sie waren bei jedem Schritt zu spüren, den Ramona in Richtung Treppe ging. Das dunkelbraune Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war nicht besonders groß, hatte ein rundes Gesicht mit ausgeprägten Wangen und einem kleinen Mund, unter dem sich ein ebenfalls kleines Kinn befand.
Auch die Treppenstufen waren etwas bucklig. Dieses Haus war alt und bis auf die Bäder wohl nie renoviert worden.
Von unten her hörte sie die üblichen Geräusche. Das Klappern von Geschirr und dazwischen die leise Musik aus dem Radio, die immer wieder von der Stimme eines Moderators unterbrochen wurde, der locker durch das Programm führte und seine Witze dabei machte.
Am Ende der Treppe mußte sie sich nach links wenden, um den Frühstücksraum zu betreten, der zugleich auch Restaurant und Kneipe war. Es gab auch einen Tresen, an dem sich am vergangenen Abend noch zahlreiche Gäste aufgehalten hatten. Das war auch zu riechen, denn der kalte Rauchgeruch verzog sich nicht so leicht, auch wenn die Fenster weit geöffnet waren, um die frische Luft hereinzulassen.
Mit dem Tag konnte jeder zufrieden sein. Zwar war es noch ziemlich kalt, im Harz keine Seltenheit, aber es regnete nicht, und der Himmel zeigte sich in einem hellen Blau, bis auf ein paar weiße Haufenwolken.
Im Hotel hielten sich nicht zu viele Gäste auf, so konnte sich Ramona ihren Platz aussuchen. Sie setzte sich immer an denselben Tisch, nahe am Fenster, dessen Größe einen ausgezeichneten Blick nach draußen zuließ. Es war nachträglich hineingebaut worden und bildete eine gläserne Wand. Von hier aus übersah Ramona den kleinen Parkplatz, wo ihr Renault Twingo stand, und auch einen Teil des Eingangsbereichs.
Den Rücken hatte sie frei, denn darauf kam es ihr an, denn die Verfolger waren ihr auf der Spur.
Fast immer drehten sich ihre Gedanken um sie. Ramona wußte genau, wer sie waren, aber sie hatten ihre Spur gefunden und auch die der anderen drei Psychonautinnen, wobei Estelle nicht mehr lebte. Ramona Sendi hatte ihren Tod indirekt miterleben müssen, denn plötzlich war die Verbindung zwischen ihnen entstanden. Estelle war gefoltert worden, sie hatte geschrien. Ihr Seelenleben war dabei durcheinandergeraten, und sie hatte die wirklich stummen Schreie nach Hilfe ausgeschickt, doch niemand war erschienen, um ihr zu helfen.
Jämmerlich und grausam war sie gestorben. Jemand hatte ihr brutal die Kehle durchgeschnitten.
Das genau hatte sie indirekt gespürt. Darunter litt Ramona, denn die Erinnerungen kehrten automatisch zurück.
Auch jetzt, als sie allein am Tisch saß. Sie merkte, wie der Schweiß
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