0967 - Geister aus der Zukunft
mit ihrem Anblick für den langen, trostlosen Winter entschädigen. An den Hängen wuchsen die Nadelhölzer dicht an dicht. Für die einsame Fahrerin sah es so aus, als wäre der Wald eine einzige kompakte Masse ohne ein Durchkommen. Dazwischen leuchtete das Grün der Wiesen, die an gewissen Stellen einen gelben Schimmer bekommen hatten. Kleine Inseln mit blühendem Löwenzahn.
Ein Frühling wie aus dem Bilderbuch.
Nicht für Ramona.
Sie hatte noch immer das schreckliche Bild vor Augen. Das viele Blut in der Dusche. Das tote Tier mit der aufgeschnittenen Kehle. Auch Estelle hatte man die Kehle aufgeschnitten. Wenn sie in die Klauen ihrer Verfolger geriet, würde sie das gleiche Schicksal ereilen.
Es machte sie nervös. Ramona rutschte unruhig auf dem Fahrersitz hin und her. Der Magen war zu einem sauren Klumpen geworden, der sich immer mehr ausbreitete.
Niemand war hinter ihr. In den Rückspiegeln wuchsen der Weg und der Wald zusammen, den sie durchquerte. Der blaue Himmel verschwand.
Grünes Dämmerlicht umfing den Wagen. Eine unheimliche Stimmung begleitete die Frau.
Die Fahrbahn war noch feucht. Sie senkte sich etwas. Hier fing bereits die Senke an, die Ramonas Ziel war. Dort genau war es passiert, da hatte das Leben der vier Psychonautinnen eine dramatische Wende genommen.
Der Twingo schaukelte weiter. Licht und grünliche Schatten huschten über die Scheiben hinweg. Weiter vorn sah sie das Ende des Waldes, dessen Bäume allerdings nicht auf beiden Seiten zurücktraten, sondern nur auf der rechten. An der gegenüberliegenden blieben sie bestehen, als wollten sie einen Schutzwall zur Straße hin bilden, wo niemand Einsicht hatte.
Nur mehr dünnes Gestrüpp mit größeren Lücken bedeckte die rechte Seite. Dann war auch dies nicht mehr zu sehen, und Ramonas Blick fiel in die weite Senke hinein.
Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Erinnerungen überkamen sie. Hier war das seltsame Raumschiff gelandet und hatte auf sie gewartet. Noch nach so langer Zeit konnte sich Ramona Sendi nicht erklären, weshalb sie an diesen Ort gekommen war.
Der Trieb war es gewesen. Ein innerliches MUSS.
Sie suchte nach einem Platz, wo sie ihren Wagen abstellen konnte. Der Twingo war froschgrün lackiert. Er paßte gut in die Landschaft.
An der linken Seite fuhr sie ihn in einen Busch, drehte dann und ließ ihn von der anderen Seite her noch einmal in die geschaffene Lücke hineinrollen.
An dieser Stelle stand sie einigermaßen günstig, blieb noch für einen Moment sitzen, atmete tief durch, holte dann ihre Jacke vom Sitz und stieg aus. Die frische kühle Luft des späteren Vormittags umfing sie.
Vögel flatterten glücklich unter dem Himmel oder ließen sich von den Aufwinden treiben.
Von der gegenüberliegenden Seite der großen Senke, wo die Hügel allmählich zu einem bewaldeten Berg wurden, wehte ihr der Wind den Geruch der Nadelbäume entgegen. Weit über ihr ließ sich ein Greifvogel von den Winden tragen.
Niemand befand sich in der Nähe. Ramona blickte den Weg zurück, den sie gekommen war, aber noch immer näherte sich kein Verfolger. Weder zu Fuß noch in einem Fahrzeug. Sie konnte die Stille genießen.
Wenn nur nicht die Erinnerungen und der tote Hase gewesen wären.
Am Wegrand blieb sie stehen. Unkraut und hohe Gräser streichelten ihre Hosenbeine. Sie blickte in die Senke hinein und konzentrierte sich genau auf den Platz, wo sie damals die Landung des seltsamen Raumschiffes erlebt hatte.
Auch dort war der dichte Rasen noch vorhanden, wenn auch jetzt etwas dunkler.
Wieder trieb es sie an diesen Ort. Und wieder beschäftigten sich ihre Gedanken mit der Vergangenheit. Damals hatte sie das gleiche Gefühl gespürt. Die Folgerung lag auf der Hand. Ramona konnte durchaus damit rechnen, daß an diesem Tag oder bei Anbruch der Dämmerung, vielleicht auch in der Nacht, wieder ein Raumschiff landete, um sie noch einmal mit an Bord zu nehmen. Es war alles möglich.
Zwischen dem Weg und der normalen Senke befand sich noch ein schmaler feuchter Streifen. Möglicherweise ein alter oder ehemaliger Bachlauf. Nur konnte es sein, daß er ausgetrocknet war, denn unter dem Gras schimmerte es leicht ölig.
Sie ging weiter.
Jeder Schritt fiel ihr schwer, obwohl der Boden nicht so hart wie der Straßenbelag war und federte, wenn sie ihn betrat. Ein Untergrund zum Wandern, aber deshalb war sie nicht hergekommen.
Nach einigen Schritten schloß Ramona die Augen.
Sofort war die Erinnerung stärker da. Ramona sah sich und die
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