0969 - Der falsche Ritter
einen regelrechten Verteilerschlüssel ausgedacht, nach dem alle Tiere ,dort unten zu ihrem Recht gekommen wären.
Er wandte sich ab und schloß die Augen.
Wurde seine neuerworbene Fähigkeit, Probleme zu erkennen und zu lösen, bereits zur Manie?
War er krank?
Er verließ die Brücke und wanderte an der Gracht entlang.
Tn seinem ganzen bisherigen Leben hatte es nicht den geringsten Hinweis darauf gegeben, daß er ein ungewöhnlicher Mensch war.
Einhundertzwanzig Jahre waren eine lange Zeit, in deren Verlauf er wohl hätte erkennen müssen, daß eine zweite Persönlichkeit in ihm verborgen war. Außerdem hatte er nach wie vor den Eindruck, daß ihm seine beängstigend wirkende Genialität von „außen" zufloß, wo und was immer „außen" auch sein mochte. Doch für einen solchen Vorgang gab es weder ein Beispiel noch eine Erklärung.
Setzen wir voraus, dachte Salik, daß ich unterfremdem Einfluß stehe. Daraus ergibt sich sofort die Frage, warum gerade ich das Opfer dieser Manipulation bin. Aber vielleicht gab es noch andere, die unter einem ähnlichen Phänomen litten und sich ebensowenig wie er bisher offenbart hatten.
Salik merkte, daß seine Gedanken sich im Kreis drehten. Es erschien ihm merkwürdig, daß er, bei all seinen neuen Möglichkeiten, sein eigenes Problem nicht zu lösen imstande war. Ob dies ein Symptom des eigenartigen Vorgangs war?
Die unsinnigsten Gedanken beschäftigten ihn. Er überlegte, ob er vielleicht Spielball eines parapsychologisch begabten Menschen war oder ob außerirdische Mächte sich seiner angenommen hatten. In jedem dieser Fälle gab es zu viele Argumente, die dagegen sprachen.
Eines jedoch erschien dem kleinen Mann sicher: Er würde innerlich an dieser Entwicklung zerbrechen, wenn er nicht in absehbarer Zeit mit jemand darüber sprechen konnte. Der Druck in seinem Bewußtsein wurde immer stärker. Salik brauchte ein Ventil.
Aber mit wem sollte er reden?
Er stellte sich vor, wie er vor jemand hintrat und sagte: „Ich habe ein Problem, ich werde allmählich zu einem Genie!"
Die zwangsläufige Folge würde eine Untersuchung seines psychischen Zustands sein. Und vielleicht war er tatsächlich seelisch krank.
Plötzlich hatte er eine Idee. Ganz in der Nähe befand sich eine kleine Buchhandlung, in der er schon oft grenzwissenschaftliche Literatur, vor allem über das Thema der Reinkarnation, gekauft hatte. Der Besitzer war ein großer alter Mann mit schwarzem Bart und verträumten Augen. Salik hatte verschiedentlich mit ihm diskutiert und dabei den Eindruck gewonnen, daß der Buchhändler nicht halb so versponnen war wie der größte Teil der Literatur, die er vertrieb. Dafür wirkte er sehr geduldig und schien für alles Verständnis zu haben.
Salik verließ die Promenade und bog in eine schmale Seitengasse ein. Eine Gruppe angetrunkener Touristen begegnete ihm. Sie sangen und riefen ihm ein paar freundliche Worte zu. Salik wich ihnen aus, denn er war nicht in der Stimmung, sich mit ihnen zu unterhalten. Er kam an ein paar Kneipen und Straßenständen vorbei. Schließlich stand er vor dem Buchladen. Mit einem Blick durch das Schaufenster stellte er fest, daß sich außer dem Besitzer niemand im Innern aufhielt. Als er eintrat, fühlte er sich regelrecht von der übrigen Welt abgeschnitten, so still war es hier. Der typische Duft alter Bücher lag in der Luft. Der Laden war ziemlich unordentlich eingerichtet, einem oberflächlichen Betrachter mußte es erscheinen, als kä= men viele Kunden nur hierher, um in den Büchern zu wühlen und sie dann unaufgeräumt zurückzulassen. Zwischen den Stapeln von Büchern, Spulen, Zeitschriften und Kassetten arbeitete Nilson. Salik hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, ob der Inhaber noch andere Namen trug. Für alle seine Kunden war er nur Nilson.
Nilson sah kurz auf, lächelte Salik in einer Art und Weise zu, als wollte er sagen: „Dich kenne ich, du bist ein alter Kunde!" und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Diese Reaktion ließ Saliks Mut erheblich sinken. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, auf Anhieb mit Nilson ins Gespräch zu kommen, als stünde der eigene Kummer in großen Lettern auf seiner Stirn verzeichnet.
Wie fange ich es nur an? fragte sich Salik. Er kam sich plötzlich lächerlich vor, seine Angst verflüchtigte sich, und er schalt sich einen Narren, daß er der ganzen Angelegenheit überhaupt eine so große Bedeutung beimaß. Wahrscheinlich war alles .nur eine Verkettung von Zufäilen.
Nilson schien
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