097 - Die Knochenkammer der Dämonen
bestand, so sehr zu verdichten, daß er einen festen Körper hatte. Die Hand, die den Sargdeckel hielt, war im Moment hart wie Stein.
Boram ließ den Deckel nicht los. Er vermied jedes Geräusch. Erst als der Deckel neben dem Sarg lag, lösten sich Borams Finger davon. Er stieg aus der Kiste und verließ den Leichenwagen.
Wozu der kurze unterirdische Stollen angelegt worden war, wußte wohl niemand mehr. Jene, die ihn gegraben hatten, schienen irgendwann die Lust verloren und die Arbeit eingestellt zu haben.
Boram verließ den Stollen und huschte durch den Schloßhof. Er witterte Opfer - Schwarzblütler. Je mehr von ihnen er vernichten konnte, desto lieber war es ihm.
In diesem Schloß konnte er Kraft tanken. Mit jedem Dämon, den er tötete, würde er stärker werden. Gnadenlos und hart würde er zuschlagen.
Die Dunkelheit machte es unnötig, daß er seine Gestalt bis zur Unsichtbarkeit ausdehnte. Er konnte bleiben, wie er war. Als er Schritte vernahm, verbarg er sich in einer Mauernische.
Sollte sich ihm ein Schwarzblütler nähern, war dieser verloren. Die Energie, die Boram von Jonathan Dewaere bekommen hatte, hatte seinen Hunger nicht gestillt, sondern eher größer werden lassen.
Die Schritte näherten sich dem Nessel-Vampir. Er bereitete sich auf die Attacke vor, doch er wurde enttäuscht, denn die Schritte schwenkten ab, entfernten sich, und wenig später war der dumpfe Knall einer zufallenden Tür zu hören.
Boram suchte diese Tür. Sie war nicht abgeschlossen. Wäre sie es gewesen, wäre Boram einfach darunter ›durchgesickert‹. Es gab für den Nessel-Vampir kaum ein Hindernis, das er nicht überwinden konnte.
Existenzbedrohend war für ihn nur das Feuer. Hitze hätte ihn verdampft. Er betrat das Schloß und hatte einen düsteren Flur vor sich.
Boram hätte sich auch nicht gescheut, Yul anzugreifen. Ob er mit dem weißen Giganten allerdings fertigwerden konnte, wußte er nicht. Yul war ein künstliches Wesen. Mit einem solchen hatte Boram noch nie zu tun gehabt.
Sollte er dem Höllenroboter begegnen, würde er dem Kampf keinesfalls aus dem Weg gehen. Aber er würde sich vor dem Höllenschwert in acht nehmen müssen, denn diese Waffe war in der Lage, eine Hitze zu entwickeln, die ihn vernichtet hätte.
Lautlos schlich der Nessel-Vampir durch das Dämonenschloß. Hier war der Tisch für ihn reich gedeckt, das spürte er. Wieder vernahm er Schritte.
Abermals versteckte er sich, und Augenblicke später tauchte ein Mann auf, der ein großes silbernes Tablett trug, über dem sich eine Silberglocke wölbte.
Der Mann wollte jemandem zu essen bringen!
Boram fiel es nicht schwer, festzustellen, daß es sich bei dem Mann um einen Schwarzblütler handelte, und er gierte nach dessen Kraft. Er wollte sie haben, deshalb machte er sich mit einem Zischlaut bemerkbar.
Der Mann war an eine Tür getreten. Als er das Zischen vernahm, stellte er das Tablett ab und drehte sich argwöhnisch um - und sein Kopf veränderte sich.
Er hatte plötzlich einen Echsenschädel!
***
Während wir nach Hause fuhren, sagte ich zu Jubilee: »Übrigens, Tucker Peckinpah ließ mich wissen, daß du möglicherweise bald deine Eltern sehen wirst.«
Jubilee nahm es mit einem knappen Kopfnicken zur Kenntnis.
Ich sah sie verwundert an. »Freust du dich gar nicht?«
»Doch, natürlich«, sagte Jubilee. »Irgendwie schon. Andererseits… Wenn man es genau betrachtet, was verbindet mich nach dreizehn Jahren noch mit meinen Eltern?«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte ich. »Es sind deine Eltern. Das werden sie sein, solange sie leben.«
»Ja, Tony«, sagte Jubilee, »aber ich fürchte, daß wir uns völlig fremd sein werden. Sie hatten nicht die Möglichkeit, mich zu erziehen. Vielleicht bin ich nicht so, wie sie mich haben wollen. Ich habe Angst, sie zu enttäuschen.«
»Was heißt, vielleicht bist du nicht so, wie sie dich haben wollen?« sagte ich laut. »Du bist ein anständiges Mädchen. Sie könnten sich ihre Jubilee nicht anders wünschen. Du wirst sie nicht enttäuschen, ganz bestimmt nicht.«
»Ich wohne jetzt schon eine Weile bei euch«, sagte Jubilee. »Ich habe mich eingewöhnt, ihr seid meine Freunde und mein Elternersatz. Ich weiß nicht, ob ich euch verlassen will, Tony.«
»Laß das Ganze einfach auf dich zukommen, okay?« schlug ich vor. »Du wirst dir deine Eltern ansehen und dich dann entscheiden, ob du lieber bei ihnen bleiben oder weiterhin bei uns leben möchtest. Solltest du bei deinen Eltern bleiben,
Weitere Kostenlose Bücher