0970 - In Asmodis’ Schuld
er. »Glaube mir, dass ich dich nicht töten wollte, aber wie könnte ich sonst Shirona finden?«
Zwei Minuten später stand die Untote vor dem Grab. Wie ein Hund verharrte sie vor Taran. Die weißen Augen schienen durch das Amulettwesen hindurch in weite Fernen zu schauen.
»Ich befehle dir, mir sofort Auskunft zu geben, Frau«, sagte Taran. »Denn ich bin dein Herr. Hast du Shirona im Totenreich gefunden?«
Ein unverständliches Gurgeln löste sich aus dem Mund der Zombie.
Taran legte sein Ohr nahe an ihren Mund. »Was sagst du?«
Baron Samedi lachte dröhnend und auch Maman Brigitte kriegte sich kaum noch ein. Die Voodoo-Gesellschaft verharrte hingegen still. Plötzlich drehte sich die Zombie wie eine Marionette und stakte auf Baron Samedi zu. Dabei stolperte sie, taumelte - und fiel der Länge nach ins Feuer. Sofort griffen die Flammen nach ihr, erfassten sie und fraßen sie innerhalb von Sekundenbruchteilen. Der zuckende Körper verkohlte, wurde tiefschwarz und zerfiel schließlich. Nichts blieb von der Untoten übrig.
Taran schluchzte. Er schlug die Hände vors Gesicht und sank zu Boden. Plötzlich hob er ruckartig den Kopf. Hass hatte sich in seine noch tränenüberströmten Züge geschlichen. »Samedi, du Schwein, du hast mich betrogen!«, schrie er voller Verzweiflung.
»So, habe ich das?«, gab der Totengott zurück und in seinen Augen glühte es grell. »Ich habe dir nur die Erlaubnis gegeben, mehr nicht. Am Scheitern deines Vorhabens bist du ganz alleine schuld. Deswegen bestehe ich auf meiner Bezahlung. Lass dir also ja nicht einfallen, mich zu betrügen, Taran. Sonst wird es dir schlecht ergehen und du könntesfe niemals wieder einen weiteren Versuch starten. Lass dir aber gesagt sein, dass du einen ganz bestimmten starken Zauber brauchst, um einen Geist aus dem Totenreich zurückzwingen zu können. Möglich ist das aber auch nur, wenn dieser Geist auf den Seelenhalden der Schwefelklüfte gelandet ist, denn aus dem Licht holt man keinen mehr zurück.«
Taran wich eingeschüchtert zurück. Er hatte tatsächlich Angst davor, sich mit dem mächtigen Totengott anzulegen. Plötzlich sackte Medines Körper zusammen. Der von Jeanne folgte auf dem Fuße. Die beiden Totengeister hatten ihre Medien wieder verlassen. Das Amulettwesen atmete auf.
Jacmel, Haiti:
Taran saß an einem der einsamen Strände Jacmels. Seine langen Haare hingen bis in den feinen, weißen Sand hinunter. Er hatte den Rücken an das alte, durchgerostete Schiffswrack gelehnt, das mit schwerer Schlagseite im Boden steckte. Mit trübem Blick starrte er auf die Karibische See hinaus, die ruhig da lag in ihrem wunderschönen Türkisgrün und deren feine Wellen fast seine Füße erreichten, als sie im Sand ausliefen. Der Schiffskörper spendete ihm ein wenig Schatten, denn die Sonne, die erst eine Handbreit über den Horizont gestiegen war, brannte bereits heiß. Dabei war er als magisches Wesen völlig klimaunabhängig. Aber er begann bereits, menschliche Eigenschaften anzunehmen, ohne dass ihm das wirklich bewusst war. Seine Finger wollten nicht ruhen. Ständig verkrallten und verdrehten sie sich ineinander. Seine Nasenflügel bebten.
Heute war ein schlechter Tag. Taran konnte seine Gedanken nicht richtig festhalten. Hätte man allerdings einen roten Faden aus diesem Wirrwarr extrahieren können, hätte der ungefähr so gelautet:
Ich muss unbedingt ein neues Opfer finden, das ich ins Totenreich schicken kann, um Shirona zu suchen und sie zurück zu holen. Sie muss mir sagen, wo ich das sechste Amulett finde, damit ich es als mein neues Haus beziehen kann. Auf der Erde fühle ich mich zwar sicherer als in den magischen Welten, in denen ich nach meinem Rausschmiss aus Merlins Stern herumgezogen bin, denn hier werde ich nicht ständig von magischen Wesen angegriffen, aber ich fühle mich trotzdem unwohl und habe Angst. Denn auch hier gibt es Dämonen und andere magische Wesen, die mich erkennen und versuchen könnten, mich in ihre Dienste zu zwingen. Außerdem ist alles hier nach wie vor sehr fremd für mich, auf Dauer ist diese nichtmagische Welt nicht für mich gemacht…
Das Bild des Malfacteurs Medine drängte sich in Tarans Gedankenchaos und verfestigte sich für einen Moment.
Ja, Medine, wir sind noch nicht fertig miteinander. Ich brauche dich noch ein paar Mal. Du musst mir Baron Samedi erneut in die Welt holen. Nur er kennt das Geheimnis, wie ein Zombie beschaffen sein muss, damit er Shirona findet und sie zurückbringen
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