0973 - Das verfluchte Volk
alle Fremden in einem Halbkreis auf Holzstäben vor der Stele platziert worden waren. Fünf Totenschädel bestanden nur noch aus bleichen Knochen. Der sechste war ganz frisch. Ein Vogel hockte auf dem schwarzen Haarschopf und pickte das linke Auge aus der Höhle.
Die Haut hing in Fetzen herunter, aber die Gesichtszüge waren gerade noch zu erkennen. Sie gehörten unserem indianischen Führer, dessen nächtliche Flucht offenbar nicht sehr erfolgreich gewesen war.
Hernando erbrach sich bei dem Anblick, doch Paco versetzte ihm einen derben Tritt. »Nicht schläppmachen, Bursche, so einfach machen wir’s den verdammten Rothäuten nicht!«, bellte er.
Hernando wischte sich den Mund ab, grummelte etwas Unverständliches und fügte sich seinem Schicksal.
Wir betraten die Zone des Todes…
***
Don Antonio wagte es kaum, seinen Männern nach der Prozedur ins Gesicht zu sehen. Was Velasco aus ihnen gemacht hatte, war einfach zu entsetzlich. Zehn Männer hatte der unheimliche Soldat verlangt. Velasco ließ sie sich einzeln in einen kleinen Schuppen zuführen, den niemand anderes betreten durfte.
Dann begannen die Schreie.
Álvarez’ Männer waren absoluten Gehorsam gewohnt. Doch jetzt rebellierten all ihre Überlebensinstinkte gegen das, was er ihren abverlangte. Nicht wenige mussten mit Waffengewalt zu dem Schuppen geführt werden.
Wer wieder herauskam, war nicht mehr derselbe. Die Gesichter wirkten wie grässliche Parodien eines menschlichen Antlitzes. Jeder Schädelknochen schien sich verformt und verschoben zu haben. Die kalten, toten Augen glitzerten bösartig. Keiner von ihnen sprach ein Wort, und niemand wagte es, sie anzusprechen. Die Männer warteten einfach vor den Schuppen, bis Velasco wieder herauskam.
»Ich habe deine Männer etwas modifiziert«, sagte der Uniformierte leichthin. »Sie können jetzt das Para-Potenzial des verfluchten Volkes genauso gut erkennen wie ich.«
»Die Kommandos stehen bereit«, sagte Álvarez heiser. »Welches Team wirst du anführen?«
»Keines. Ich muss nach Bogotá. Ich benötige eines deiner Flugzeuge.«
»In die Hauptstadt? Wieso?«
Velasco grinste. »Lass es mich so ausdrücken. Keine Träne soll umsonst vergossen worden sein.«
Er lachte, als er Álvarez’ verdutztes Gesicht sah. Es klang schrecklicher als die Schreie der Männer zuvor.
»Ist eine sehr alte Geschichte, das musst du nicht verstehen. Eigentlich wollte ich damit warten, bis die Arbeit hier abgeschlossen ist, aber gewisse Entwicklungen zwingen mich dazu, die Sache voranzutreiben.«
»Was für Entwicklungen?«
»Zamorra ist gerade gelandet. Ich spüre sein verfluchtes Amulett bis hierher.«
***
»Ich hasse Flugzeuge«, schimpfte Nicole Duval. Die schöne Französin starrte missmutig auf das Transportband, auf das die Gepäckstücke aus ihrem Flieger nur vereinzelt tröpfelten. Von ihren Koffern war immer noch nichts zu sehen.
Professor Zamorra konnte sich nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Nach den aufreibenden Erlebnissen der letzten Wochen hatte sich seine Lebensgefährtin, Sekretärin und Partnerin im Kampf gegen die Mächte der Finsternis auf ein paar erholsame Tage im Château gefreut, unterbrochen höchstens durch ein paar Shopping-Touren nach Paris oder Lyon. Paulas Anruf hatte sie deshalb nicht gerade in Hochstimmung versetzt, obwohl sie sich ebenso wie Zamorra natürlich sofort bereit erklärt hatte, die Reporterin zu unterstützen.
Die Anomalie im kolumbianischen Teil Amazoniens war viel zu gefährlich, als dass sie es sich leisten konnten, eine Spur außer Acht zu lassen. Besonders gefreut hatte sich Nicole auf den Trip dennoch nicht. Dass der eilig gebuchte Air-France-Flug mit deutlicher Verspätung in Paris abgehoben hatte und sie danach von Turbulenzen so durchgeschüttelt wurden, dass an Schlaf nicht zu denken war, hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, ihre Laune zu heben. Und jetzt verzögerte sich auch noch aus unerklärlichen Gründen die Gepäckausgabe. Nur der spontane Ausbruch des Dritten Weltkriegs hätte es fertiggebracht, Nicole noch mehr zu nerven.
»Es dauert eine Ewigkeit, um von einem Ort zum anderen zu kommen, das Essen ist grässlich und die Stewardessen zu hübsch. Ich habe den lüsternen Blick sehr wohl bemerkt, mit dem du die Damen betrachtet hast.«
»Rein professionelles Interesse«, versicherte Zamorra. Der Parapsychologe wusste, dass seine Gefährtin nicht mal die Hälfte von dem, was sie von sich gab, wirklich ernst meinte. Es war einfach ihre Art,
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