0978 - In den Ruinen von London
stürmte sie in die Küche. »Würde mich nicht wundern, wenn du dahintersteckst!«
»Wo hinter?«, fragte Carries Dad.
»Die Telefonleitung ist tot!«
»Hast du immer noch kein Handy? Du lebst in der Steinzeit, aber anders kenne ich dich ja nicht.« Er fischte sein eigenes Handy aus der Jackentasche, klappte es auf und hielt es seiner ehemaligen Frau hin. »Hier! Versuch’s damit! Ruf ruhig die Bullen. Die können gern mitkriegen, dass ich Sehnsucht nach meiner Kleinen hatte und mich nicht länger ab wimmeln lasse!«
Carries Mum starrte das angebotene Handy so angewidert an, als wäre es ein ekliges Insekt.
Aber plötzlich weiteten sich ihre Augen noch mehr.
Genau wie die Augen von Carries Vater.
Der auf seine Hand stierte, als hätte er sie noch nie gesehen.
Und so hatte er sie vermutlich auch noch nie erblickt.
Etwas schob sich gerade zwischen Hand und Handy hervor. Es wurde rasend schnell größer, bog sich und tippte mit der Spitze gegen das Tastenfeld des Mobiltelefons.
9 9 9, beobachtete Carrie die dreimalige Berührung derselben Taste.
Selbst sie wusste, dass das der Polizeinotruf war.
Danach schnellte das tentakelartige Ding wieder unter das Handy zurück.
Carries Vater fing an, mit der Hand zu fuchteln, als wolle er das Gerät abschütteln. Aber offenbar klebte es wie Pech an seinen Fingern.
»Rose…«, gurgelte der Mann, der Sekunden zuvor noch vor Kraft und Vitalität gestrotzt hatte. Jetzt schien sein Gesicht während des Betrachtens zu zerfallen. »Rose - bitte…« Er versuchte, sich vom Stuhl hochzustemmen.
Carries Mum wich zurück und machte auch keine Anstalten, ihm zu helfen.
Dafür hielt es Carrie nicht länger auf ihrem Platz. Sie sprang so vehement auf, dass der Stuhl nach hinten kippte und umfiel. Sie machte einen Satz auf ihren Vater zu und fasste nach seiner Hand, die das Handy immer noch nicht losgeworden war. Leise war das Freizeichen zu hören. Aber niemand hob am anderen Ende der Leitung ab.
Carries Vater legte seinen Arm um die Schulter seiner Tochter und bäumte sich auf, als würde ihm jemand ununterbrochen von innen in den Bauch schlagen.
Sein Gesicht war jetzt kalkweiß, aus dem Mundwinkel rann ein Blutfaden.
Das Blut war schwarz.
So schwarz wie… Unwillkürlich musste Carrie an ihr Blütenblatt denken, das sie aus der hintersten Ecke des Gartens mitgebracht hatte.
Kurz entschlossen löste sie sich von ihrem Dad und rannte die Treppe hoch in ihr Zimmer. Das Blütenblatt lag noch dort, wo sie es deponiert hatte, größer als eine Männerhand.
Carrie schnappte es und wollte damit in die Küche zurück.
Auf der Treppe kam ihr ihre Mum entgegen. »Wir verschwinden! Wir rufen aus der Nachbarschaft nach der Polizei - komm!« Sie streckte den Arm nach Carrie aus.
»Dad braucht Hilfe, Mum! Er… er stirbt!«
»Für mich ist er das längst! Gestorben! Lass ihn, komm!«
Sie packte Carrie am Handgelenk. Dabei kam sie mit dem Blütenblatt in Berührung. Carries Mum schrie auf und blickte auf ihren Handrücken, wo sich eine Brandblase abzeichnete.
»Was…« Sie ließ Carrie los, und Carrie schob sich an ihr vorbei und rannte in die Küche. Ihr Vater lag am Boden und krümmte sich, als litte er Höllenqualen. Seine kalkige Gesichtshaut war spröde wie uraltes Pergament geworden und hatte Risse bekommen.
Carrie hatte keine Ahnung, wie sie diesen Anblick ertragen konnte, ohne in eine ähnliche Panik und Hysterie zu verfallen wie ihre Mum. Aber etwas schien beruhigend auf sie einzuwirken.
Das Blütenblatt in ihrer Hand spiegelte erneut ihr Gesicht wider, als sie darauf blickte.
Der Mund bewegte sich, obwohl Carries eigener Mund ganz starr war. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass das Blütenblatt ihr auf diese Weise etwas mitteilen wollte. Aber sie verstand es nicht.
Sie ging neben ihrem Vater auf die Knie. Aus dessen Mund kam plötzlich nicht mehr nur ein Blutfaden, sondern… etwas Grünes, das daraus hervorspross wie ein junges Pflänzchen, das gerade das Erdreich durchstoßen hatte und nun dem Licht entgegen strebte.
Carrie starrte fasziniert darauf. Währenddessen platzte das Gesicht ihres Dads an mehreren Stellen endgültig auf, und auch dort drängten seltsame Keimlinge hervor.
Ein schriller, anhaltender Schrei lenkte Carries Blick zur Tür, wo ihre Mum stand. Sie hielt einen Feuerlöscher in der Hand, den roten Behälter in der einen, den Schlauch mit der Düse in der anderen. »Geh da weg!«, rief sie. »Geh da weg, Kind!«
Wahrscheinlich wusste
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