098 - Der Kerkermeister
berichten hatte. Er versprach zurückzurufen.
Drei Minuten später läutete das Telefon. Sullivan war am Apparat. McClusky reichte Archer den Hörer.
„Fred", sagte Sullivan aufgeregt. „Ich habe mir das betreffende Gebiet auf dem Stadtplan angesehen. Innerhalb des Kreises liegt die Abraham Road. Dort besitzt Hunter ein Reihenhaus, das er früher zusammen mit seiner Frau Lilian bewohnt hat. Vielleicht hat ihn Coco dorthin gebracht."
„Das wäre eine Möglichkeit. Wir fahren mal hin."
Coco wartete zwei Stunden lang an Dorians Bett. Dann versuchte sie, ihn zu wecken. Der Dämonenkiller hatte ruhig geschlafen. Nur gelegentlich hatte er leise aufgestöhnt und in der unbekannten Sprache gesprochen.
Sie griff nach seiner rechten Hand und zog daran. Doch der Dämonenkiller erwachte nicht. Schließlich beugte sie sich über ihn und rüttelte ihn an den Schultern. Dorian brummte und drehte den Kopf zur Seite.
„Aufwachen, Dorian!" sagte Coco laut. „Du mußt aufwachen!"
Mißmutig schlug Dorian die Augen auf. Sie waren glasig und schienen nichts zu sehen.
„Wo bin ich?" fragte der Dämonenkiller verschlafen.
„In deinem Haus in der Abraham Road."
„Abraham Road?" sagte Dorian verwundert. „Ich war doch im Marble Hill Hospital. Weshalb hast du mich hierher gebracht? Ich hasse dieses Haus. Ich will sofort in die Jugendstilvilla!"
Wütend setzte sich Dorian auf. Er blickte sich verärgert im Schlafzimmer um. Zu viele negative Erinnerungen verbanden ihn mit diesem Haus. Hier hatte er mit seiner Frau Lilian gelebt, die jetzt schon längere Zeit tot war. An die Zeit mit ihr erinnerte er sich nur höchst ungern. Coco wußte, wie wenig er das Haus mochte.
„Tut mir leid, Dorian", sagte Coco sanft. „Du mußt hierbleiben."
„Und weshalb, wenn ich fragen darf?" Angriffslustig streckte der Dämonenkiller sein Kinn vor.
Ein leises Lachen war zu hören. Dorian wandte rasch den Kopf, doch nichts war zu sehen. Das Lachen wurde lauter.
„Was geht hier vor?" fragte Dorian. Er blickte Coco grimmig an. Sie senkte den Blick.
„Wie fühlen Sie sich, Hunter?" Die Stimme kam von rechts.
Dorian legte sich zurück und zog die Bettdecke ans Kinn. Die Stimme kannte er. Nie würde er sie vergessen.
„Jetzt wird mir einiges klar", meinte Dorian. „Coco entfernte die Dämonenbanner. Sie brachte mich hierher. Auf Ihren Befehl, Olivaro?"
„Erraten", antwortete die Stimme.
„Aber weshalb?" fragte Dorian. „Sie können mir nichts anhaben, Olivaro. Der Ys-Spiegel schützt mich."
„Olivaro will mit dir sprechen", sagte Coco.
Der Dämonenkiller blickte seine Gefährtin böse an.
„Laß mich sprechen", bat Coco leise. „Olivaro lockte mich gestern in eine magische Zeitfalle. Er hätte mich töten können, doch er ließ mich am Leben. Er stellte nur die Bedingung, daß er mit dir sprechen könne. Ich mußte dich hierherbringen lassen. Mir blieb keine andere Wahl."
Dorian lächelte schwach. „Ist schon gut, Coco", flüsterte er. „Ich mache dir keine Vorwürfe. Du hast nicht anders handeln können. Nun zu Ihnen, Olivaro. Was wollen Sie von mir?"
„Sie haben noch immer nicht meine Frage beantwortet. Wie fühlen Sie sich, Hunter?"
„Ihre Sorge um mein Befinden rührt mich, Olivaro", sagte Dorian spöttisch. „Ich fühle mich schwach und müde. Aber morgen geht es mir sicherlich besser. Jetzt möchte ich aber endlich wissen, worüber Sie sich mit mir unterhalten wollen."
„Erinnern Sie sich an das Jahr 1586?" fragte Olivaro.
Dorian runzelte die Stirn. „Nur undeutlich. Was soll das?"
„Ich will Ihnen helfen, Dorian", meinte Olivaro. „Das Jahr 1586 war sehr wichtig für Sie, Hunter. Doch Sie verdrängen die Erinnerung daran. Es ist aber wichtig, daß Sie sich die Geschehnisse dieser Zeit ins Gedächtnis rufen."
Kopfschüttelnd sagte Dorian: „Warum soll 1586 so wichtig gewesen sein? Ich fuhr nach Japan, lernte O-Yuki kennen und lebte mit ihr bis zu meinem Tod."
Olivaro lachte. „Reden Sie sich nur nichts Falsches ein, Hunter! Versuchen Sie sich an Einzelheiten zu erinnern. 1584 waren Sie in Prag gewesen. Da erledigten Sie den Golem. Was geschah danach? Sehen Sie der Wahrheit ins Gesicht, Hunter!"
Der Dämonenkiller bäumte sich plötzlich auf.
„Kein Gesicht!" schrie er. „Kein Gesicht, da ist kein Gesicht… Nur ein glattes eiförmiges Ding!" Erschöpft schloß er die Augen und atmete keuchend.
Fünf Minuten fiel er in einen tranceähnlichen Schlaf. Dann schlug er die Augen auf und blickte Coco an.
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