098 - Der Kerkermeister
wie möglich nach Nagasaki, Kapitän."
Er grinste breit und bot mir dabei eingehend Gelegenheit, sein schadhaftes Gebiß zu betrachten. „Das trifft sich gut", sagte er strahlend. „In zwei Tagen fahre ich los. Es gibt genügend Leute, die so wie Ihr daran interessiert sind, rasch nach Japan zu gelangen, und die nicht auf das Auftauchen der Naos warten wollen. Ich war dieses Jahr schon zweimal in Japan. Ich habe zwei chinesische Lotsen an Bord, und vor den japanischen Piraten habe ich keine Furcht."
Ich war sehr zufrieden. Doch als er mir den Preis nannte, den er für die Überfahrt verlangte, gefror mein Lächeln. In Gedanken überschlug ich mein Vermögen und stellte fest, daß mir nur wenig bleiben würde, wenn ich den Preis bezahlte. Doch was sollte ich tun? Geld war unwichtig. Ich willigte ein.
Die Besatzung bestand aus dreißig Mann, meist Portugiesen und Holländern. Lauter kräftige Kerle, die sich vor nichts fürchteten. Der Kapitän hatte einige Mühe, seine Mannschaft nüchtern zu halten. Die meisten hatten einige Fässer Sake an Bord gebracht, jenes seit alten Zeiten bekannte Getränk, das aus Reis gegoren wurde. Täglich gab es Schlägereien, und täglich wurde zumindest ein Mannschaftsmitglied ausgepeitscht, aber es nützte nichts. Die Kerle hatten ihre Sake-Fässer gut versteckt. Die Lugo hatte zehn Passagiere an Bord, darunter auch die beiden Japaner, die mit mir auf der Vigo nach Macao gekommen waren.
Der Kapitän war ein Enkel des berühmten Alfonso d'Albuquerque, der 1507 den Hafen Ormuz am Eingang des Persischen Golfs angegriffen und den mohammedanischen Herrscher dazu gezwungen hatte, die Oberhoheit Portugals anzuerkennen.
Wir waren nun schon über zehn Tage unterwegs. Meist fuhren wir in Sichtweite der chinesischen Küste. Ein Mann beobachtete Tag und Nacht das Meer und die Küste.
Jeden Augenblick konnten Piraten auftauchen. Es gab Hunderte von Piratenschiffen, die im Ostchinesischen Meer kreuzten. Sie überfielen die Küstenstädte, aber es war auch schon vorgekommen, daß sie weit ins Innere Chinas eingedrungen waren. Die japanischen Piraten wurden Wako genannt, was von dem chinesischen Wort für „Zwerg" abgeleitet worden war.
Zweimal waren Piratenschiffe gesichtet worden, aber sie hatten uns in Ruhe gelassen.
Das Wetter wurde zusehends schlechter. Es regnete oft, und orkanartige Stürme trieben uns weit auf das offene Meer hinaus. Erst nach drei Tagen beruhigte sich das Wetter. Wir segelten wieder in Richtung China.
Ich stand mit dem Kapitän auf dem Achterdeck und unterhielt mich mit ihm über Japan.
„Segel voraus!" brüllte der Ausguck. „Steuerbord voraus!"
Der Kapitän lief an mir vorbei.
„Wie viele?" .
„Vier!" schrie der Ausguck. „Wakos!"
Der Kapitän befahl den Passagieren, in die Kajüten zu gehen, doch ich weigerte mich. Ich hatte keine Lust, in meiner Kajüte zu hocken, wenn der Kampf begann. Und es würde Kampf geben. Die vier Piratenschiffe kamen rasch näher.
Ich kniff die Augen zusammen und blickte ihnen entgegen. Nie zuvor hatte ich solche Schiffe gesehen. Sie waren klein und mit zwei Segeln bestückt. Zugleich wurden sie gerudert. Sie schossen förmlich über das Meer und kamen unglaublich schnell näher.
Rasch lief ich in meine Kajüte und holte meine Pistolen, einige Wurfmesser und einen Degen.
Als ich wieder das Deck betrat, war die Lugo klar zum Gefecht. Die Geschütze waren ausgefahren. Drei an der Backbordseite, drei an der Steuerbordseite.
Jedes der kleinen Piratenschiffe war mit etwa zehn Männern besetzt, die seltsame Rüstungen trugen. Geschütze konnte ich keine sehen. Die japanischen Piraten waren mit Musketen und Schwertern ausgerüstet.
Der Kapitän hatte Waffen ausgeben lassen. Er befürchtete, daß es einem der kleinen Schiffe gelang, so nahe zu kommen, daß die Piraten entern konnten. Und von dem Kampfesmut der Japaner hatte mir der Kapitän vor einigen Tagen erzählt.
Der Kapitän schrie einen Befehl. Eines der Geschütze donnerte los. Kein Treffer. Die vier kleinen Schiffe hielten etwa fünfzig Klafter Abstand voneinander. Wieder donnerte eine Kanone. Diesmal hatte der Schütze besser gezielt. Eines der Piratenschiffe zerbrach, als sei es von einer Riesenfaust getroffen worden. Weitere Schüsse folgten. Sekunden später sank ein zweites Schiff. Dann das dritte.
Aber das vierte schlug an. Eine halbe Minute später drangen die ersten Piraten an Bord. Sie trugen lackierte Rüstungen, die aus Eisenstreifen gefertigt waren, und
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