098 - Die Geistergirls von W
ein. Es war düster. Gisela Haisen war
noch an das helle Sonnenlicht draußen gewöhnt und blieb wie vor einer
unsichtbaren Mauer in der Dunkelheit des muffig riechenden und handtuchschmalen
Korridors stehen. Sie fürchtete, irgendwo dagegen zu stoßen. »Warum öffnet er
denn die Fensterläden nicht ?« , fragte Gisela Haisen . »Das ist ja fürchterlich, den ganzen Tag in dieser
Düsternis zu leben .«
»Er schützt sich nur vor der Sonne. Er hat ein Augenleiden und muss das Sonnenlicht meiden .« Britta Leisner ging voraus. Zur Linken erblickte Gisela die Umrisse einer
Holztür, die auf den Korridor mündete. Zwei Schritte weiter führte eine
Wendeltreppe in die Höhe. Durch die Ritzen der nicht dicht schließenden Fensterläden
fielen dünne Lichtstreifen, in denen Staubpartikel tanzten.
Britta Leisner führte ihre Freundin in den hinten liegenden Raum.
Ein niedriger, altmodischer Couchtisch, zwei Sessel und ein Sofa standen darin.
Außerdem noch ein alter Schrank mit Glastüren und vielen Regalböden. Gisela Haisens Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt. »Hier
ist niemand«, stellte sie fest.
»Ich weiß. Er hält sich in seinem Arbeitsraum auf. Ich hole ihn
sofort .«
»Du sprichst immer nur von ihm oder von dem Mann .
Zum Teufel noch mal, hat er denn keinen Namen ?« Gisela Haisen blickte ihre Freundin in dem Moment an und hob
wie flehentlich die Hände. Da fuhr die Klinge blitzschnell und lautlos
auf sie zu. Instinktiv machte die Herbeigelockte eine halbe Drehung seitwärts.
Diese Bewegung rettete ihr das Leben. Das Rasiermesser traf sie nicht mehr mit
voller Wucht. Die Klinge schlitzte ihr Kleid auf und ritzte ihre Haut.
Heiß und brennend bildete sich dort eine sofort blutende Wunde.
Gisela Haisen schrie gellend auf, ließ ihre Arme
fallen und versetzte der erneut Angreifenden einen heftigen Stoß vor die Brust.
»Britta?! Um Himmels Willen ! Was ist
denn los mit dir ?« Im Halbdunkeln sah sie das bleiche,
fratzenhaft verzerrte Gesicht vor sich. Britta Leisner war wahnsinnig, und sie war
einer Verrückten in die Falle gegangen! Blitzschnell und wendig war die
Verrückte in ihren Bewegungen, wollte beenden, was sie begonnen hatte. Gisela Haisen wich zurück, brachte geschickt einen Sessel zwischen
sich und die Wahnsinnige mit dem Rasiermesser. Britta Leisner störte sich nicht
daran. Sie war keine Sekunde verlegen. Sie sprang und war im nächsten Moment
auf dem Sessel, der durch den Schwung umkippte. Gisela Haisen schrie auf.
Sie versuchte noch auszuweichen, stolperte und fiel mit dem Sessel
zu Boden. Dann entbrannte im Halbdunkeln des gespenstischen Hauses ein Kampf
auf Leben und Tod. Gisela Haisen landete
unglücklicherweise auf dem Rücken, und Britta Leisner lag auf ihr, das
Rasiermesser in der Hand. Die Überfallene umklammerte das Gelenk der Hand, in
der die tödliche Waffe blinkte. Gisela war kräftiger und einen Kopf größer als
ihre Angreiferin, und doch schien die Kleinere die Oberhand zu gewinnen. Gisela Haisen merkte, wie ihre Kräfte nachließen, wie der
Druck der Hand mit der Waffe sich verstärkte. Die Klinge war dicht vor ihrem
Gesicht. Das Herz der unten Liegenden jagte wie von Sinnen, und der Schweiß
brach ihr aus allen Poren.
Britta Leisner drückte die Hand ruckartig nach unten. Gisela Haisen reagierte eine Zehntelsekunde schneller und drehte
ihren Kopf seitwärts. Die Klinge verfehlte sie um Haaresbreite und drang in den
Dielenfußboden. Drei bis vier Sekunden war Britta Leisners Aufmerksamkeit
abgelenkt. Sie hatte damit zu tun, die Spitze aus dem Holz zu ziehen. Diesen
Moment der Ablenkung nutzte die Überfallene bog ihren Körper seitwärts, und es
gelang ihr, die Angreiferin wegzuschieben.
Der Kampf um die tödliche Waffe begann. Gisela Haisen wusste , dass sie
unweigerlich verloren war, dass sie dieses Haus nicht
mehr lebend verließ, wenn es ihr nicht gelang, die Wahnsinnige kampfunfähig zu
machen. Ineinander verkeilt lagen die beiden Mädchen auf dem Boden. Britta
Leisner hatte es etwas schwerer und musste die Waffe
nach oben drücken. Gisela Haisens Hand zitterte, als
sie die Finger der vermeintlich Verrückten herumdrückte. Sie legte ihre ganze
Kraft in diesen Angriff. Die Todesangst ließ sie Kräfte mobilisieren, die sie
sich nie zugetraut hätte. Britta Leisners Arm knickte weg. Die ruckartige
Bewegung ließ die blinkende Klinge auf sie zufahren - und direkt in ihren Hals
eindringen. Ein gellender Schrei hallte durch das einsame Haus. Der kam
jedoch nicht
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