0983 - Die Schamanin
zurückkehrte, hielt sie einen Klappstuhl fest, den sie neben Bill stellte. »Hier, damit du dich setzen kannst.«
»Danke.« Bill klappte den Stuhl auseinander und setzte sich so hin wie der Besucher an einem Krankenbett. An der gegenüberliegenden Seite der Liege stand Imelda. Ihre Hände sah Bill nicht, sie nestelten an dem Badetuch herum, wo sie den Knoten lösten.
Einen Moment später ruschte es nach unten und fiel vor den Füßen zusammen.
Imelda drehte sich um. Wieder war sie nackt. Mit ihren großen Augen glotzte sie den Reporter an, als wollte sie ihm bis auf den Grund seiner Seele schauen.
Bill war ein Mann, und es wäre natürlich gewesen, sich die Frau mit dem Interesse eines Mannes anzuschauen und sich auch gewisse Gedanken zu machen.
Aber es kam nichts rüber. Er hatte Mühe, in dieser Imelda einen Menschen zu sehen. Sie kam ihm anders vor. Sie erinnerte ihn mehr an die beiden Totempfähle, so starr und steif stand sie da. Nicht nur das Gesicht machte auf sie einen künstlichen Eindruck, auch der Körper.
Als sie sich bewegte und auf die Liege kletterte, hätte sich Bill nicht gewundert, wenn ein Knacken oder Knirschen erklungen wäre. Das passierte nicht, und so kniete Imelda hin, schaute Bill an, lächelte kantig, um sich danach geschmeidig auf den Rücken zu wälzen.
»Nimm ruhig Platz. Entspann dich…«
Bill setzte sich hin. In der Tat war es sogar möglich, sich zu entspannen und auf das zu konzentrieren, was ihn umgab. Er nahm jetzt den fremdartigen Geruch wahr. Die Luft war relativ kühl, aber auch von einem ungewöhnlichen Duft durchweht.
Bill konnte nicht feststellen, woher dieser Duft kam. Es roch nach Frühling auf dem Lande!
Imelda hatte sich gedreht, gestreckt und lag jetzt auf dem Rücken. Die Augen standen offen. Sie drängten sich vor wie Glotzaugen. Die Schamanin schaute unentwegt in das weiche Licht der Lampe, als wäre es ein Katalysator, der sie forttransportierte.
»Du kannst ruhig näher an das Bett herankommen, Bill«, sagte sie und winkte mit dem Finger. »Möchtest du nichts aufschreiben? Ich werde jetzt reden…«
»Nein, ich nehme den Recorder.« Bill griff in die Tasche und holte das Aufnahmegerät hervor, das er einstellte. Eine rote Lampe leuchtete auf.
»Ich erlaube es dir.«
»Danke.«
Imelda legte die Hände auf ihren Bauch. »Was ich dir jetzt sage, haben vor mir schon andere gesagt und auch getan. Ich bin in der Lage, meinen Körper zu verlassen. Ich kann so etwas wie einen feinstofflichen Geist produzieren, und ich schaffe es allein durch ihn, mich auf Reisen zu begeben, die kaum zu erklären sind. Ich besuche ferne Reiche; es gibt keine Grenzen mehr. Ich kann mich bestimmten Dingen nähern, ohne selbst gesehen zu werden, und das gilt für das irdische Dasein ebenso wie für die Existenz anderer Dimensionen. Wie ich dir schon sagte, es ist nicht einmalig, aber etwas istkbei mir anders, Bill. Auf meinen Reisen kann ich Kontakt aufnehmen. Zu Tieren, zu Menschen, zu anderen Geschöpfen. Ich spüre sie viel deutlicher, und ich habe gelernt, daß nicht nur die Menschen leben. Aber nicht nur ich spüre sie, auch die anderen können mich spüren. Sie merken, wenn ich in der Nähe bin, und ich kann es schaffen, ihre Empfindungen dabei zu verändern. Ich oder mein Zweitkörper ist in der Lage, sie zu manipulieren. Genau das ist eben das Neue an mir, das einfach Wunderbare und Phänomenale. Weißt du nun, was ich damit meine, Bill Conolly? Kannst du es dir vorstellen?«
»Nein«, gab Bill zu. »Aber ich finde es interessant. Das ist wirklich neu.«
»Danke. Du erfährst es als einer der ersten. Du wirst erleben, was alles möglich ist.«
Als Bill ihr Lächeln sah, kam es ihm hinterrücks vor. Er hatte den Erklärungen zwar gelauscht, doch die Worte hatten ihm nicht so recht gefallen. Er war im Moment nicht in der Lage, näher über sie nachzudenken und sie zu analysieren, doch die Möglichkeiten, die ihm Imelda eröffnet hatte, waren grandios - und gefährlich.
Das sah Bill auch. Wenn alles stimmte, konnte sie mit ihrem Geist oder Zweitkörper andere manipulieren. Bill hatte etwas dagegen, wenn Menschen manipuliert wurden. Er setzte sich dem schon aus, aber er wollte nicht, daß andere darunter litten.
Außerdem kam er sich vor wie jemand, der einen Fehler begangen hatte.
Tief im Hinterkopf warnte ihn eine Stimme, daß er sich nicht so verhalten hatte, wie es eigentlich hätte sein sollen, aber er kam nicht darauf.
»Wir haben Zeit«, sagte Imelda,
Weitere Kostenlose Bücher