0983 - Die Schamanin
Scheinwerfer fiel gegen die Mauer und das Tor. Ich sah auch die beiden Videokameras, die mich beobachteten, stieg aus und schellte. Es tat sich nichts.
Nach dem zweiten Klingeln wuchs meine Unruhe. Sheila hatte mich erwartet.
Sie war doch wohl nicht eingeschlafen. Daran konnte ich nicht glauben. Daß sie jetzt nicht öffnete, mußte einen Grund haben. Bestimmt keinen harmlosen.
Der Entschluß war schnell gefaßt. Ich würde den Wagen vor dem Tor stehenlassen und über die Mauer klettern.
Dazu kam es nicht mehr.
Sheila mußte das Klingeln doch gehört haben, denn das Tor öffnete sich.
Freie Fahrt!
Ich kletterte rasch wieder in den Rover und fuhr an. Den Weg, er sich durch den Vorgarten auf das etwas erhöht stehende Haus schlängelte, kannte ich im Schlaf. Ich hätte ihn auch ohne Licht fahren können.
Wie so oft stellte ich meinen Wagen vor der Garage neben dem Haus ab. So völlig normal oder glücklich war ich nicht, denn es paßte mir nicht, daß Sheila nicht schon in der offenen Tür stand, um mich zu begrüßen.
Die Haustür war noch geschlossen. Das hatte ich bei der Herfahrt gesehen, und es änderte sich auch nicht, als ich meinen Wagen verlassen hatte.
Ich blieb stehen.
Niemand machte mir auf.
Noch einmal wollte ich schellen. Dazu kam es nicht mehr, denn von innen her wurde die Tür sehr heftig aufgerissen. Sheila hielt noch die Klinke fest, die taumelte dabei zurück, schüttelte den Kopf, und ich sah mit einem Blick, daß es ihr nicht gutging. Sie hatte geweint. Die Spuren waren in ihrem Gesicht zu sehen.
Ich betrat das Haus. Sheila ließ die Tür los. Dafür spürte sie meine Hand an ihrer Schulter. Sie schrie leise auf, drehte sich von mir weg und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
Ich schloß die Tür. Dabei behielt ich Sheila im Auge, die sehr schwer atmete, aber zugleich auch schluchzte oder weinte. Sie war wirklich außer sich, und die Haut auf ihrem nassen Gesicht zuckte immer wieder.
»Was ist los, Sheila? Was hast du?«
Sie konnte nicht reden.
Ich ging auf sie zu.
Sheila duckte sich. Sie glich einem Tier, das sich in die Enge gedrückt fühlte und auf keinen Fall wollte, daß man es anfaßte.
So etwas hatte ich bei ihr noch nie erlebt, und ich kannte sie schon verdammt lange. Sie glich einer Frau, die schreckliche Angst davor hatte, berührt zu werden.
Ich blieb vor ihr stehen und suchte Blickkontäkt. Ich wollte sehen, was mit ihr los war. Oft kann man aus den Augen eines Menschen herauslesen, was mit ihm los ist. Bei Sheila gelang es mir nicht. Sie hielt den Blick gesenkt und hatte den Kopf zur Seite gedreht und wirkte so schwach, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen.
»Bitte, Sheila, ich bin es. Ich…«
Sie schüttelte den Kopf.
Ich streckte die Hand aus. Sie sah es, denn sie schielte mich aus ihrer gekrümmten Haltung hervor an. »Nicht anfassen, John! Nicht anfassen! Ich will es nicht…«
Ihre Stimme war kaum wiederzuerkennen. So wie sie redete, hätte auch eine wildfremde Frau zu mir sprechen können. Ich spürte, wie mir allmählich mehr als unwohl zumute wurde.
»Okay, Sheila, okay. Ich tue nichts.«
Zur Demonstration hob ich beide Arme. »Ist das gut so?«
Ihre Schultern zuckten. Mehr tat sie nicht.
Ich wartete einige Sekunden ab. Natürlich rasten meine Gedanken. Vorwürfe machte ich mir nicht, aber ich wollte wissen, was da geschehen war. So wie sich Sheila verhielt, war es einfach unmöglich. Das konnte nicht sein, das war einfach nicht zu erklären. Mit ihr mußte etwas Schreckliches passiert sein.
Aber was?
Auch wenn sie mich nicht frontal anschaute und ich nur ihr Profil sah, konnte ich an ihr keine Wunden, kein Blut und auch keine blauen Flecken erkennen. Sie war körperlich völlig unversehrt. Trotzdem schien sie zu leiden, und das hatte seinen Grund. Grundlos benahm sich niemand so.
Ich versuchte es mit einem Lächeln, auch wenn es mir nicht leichtfiel.
Sheila hatte den Kopf so gedreht, daß sie mich anschauen konnte, aber das Lächeln registrierte sie nicht.
Sie atmete nur. Sie röchelte dabei. Sie stöhnte auch. Ab und zu schluchzte sie.
Daß wir hier nicht ewig stehenbleiben konnten, war mir klar. Ich wollte sie ins Wohnzimmer führen. Dort war es bequemer, da konnten wir reden, aber Sheila wollte nicht, als ich ihr den Vorschlag machte. Sie zuckte nur aus ihrer gebückten Haltung hoch, stand zitternd da und schaute sich immer wieder hektisch um, als suchte sie jemanden.
»Sheila«, sagte ich leise und gab meiner Stimme
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