0984 - Griff aus dem Dunkel
Händen zu und zerrte seinen Freund weiter.
Er wollte ihn dorthin schaffen, wo sie das Lachen vernommen hatten.
Aber Tim stemmte sich gegen den Griff.
»He, was hast du?«
»Da stimmt was nicht.«
»Weiß ich selbst, verdammt! Aber ich will wissen, was da nicht stimmt. Okay?«
»Nein, das ist nicht okay.« Tim schüttelte den Kopf. »Johnny ist anders geworden, das spüre ich. Er ist nicht mehr der, den wir kennen. Hast du nicht sein Gelächter gehört? So hat er noch nie gelacht, kann ich dir sagen, noch nie.«
»Weiß ich.«
»Trotzdem willst du hin?«
»Wir müssen ihm helfen.«
Das wollte Tim auch, nur hatte er Angst. Er schaute noch immer in dieselbe Richtung. Er wollte seinen Freund ja nicht im Stich lassen, aber er traute sich kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er rechnete mit einer bösen und auch gefährlichen Überraschung. Johnny tat ihnen auch nicht den Gefallen, sich zu zeigen. Er blieb in seiner Deckung, zusätzlich noch geschützt durch die Dunkelheit, als hätte er ihnen eine Falle gebaut.
Die beiden Jungen hatten sehr schnell bei ihrer Unterhaltung gesprochen.
Es war kaum eine Minute vergangen, und Mike wollte nicht mehr länger bleiben.
Er schob seinen Freund endlich vor. Erwischte ihn auf dem falschen Fuß stehend, so daß Tim nicht anders konnte, als sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Dabei ging er längst nicht locker, sondern steif wie ein Brett.
Sein Gesicht war starr. Er fing an zu zittern und hoffte, daß es Mike nicht merkte.
Der aber hatte andere Sorgen. Natürlich gefiel ihm die Entwicklung nicht. Aber er hatte nun mal in den sauren Apfel gebissen und wollte den Rest ebenfalls schlucken.
Die Jungen hatten den Weg ebenfalls verlassen und marschierten jetzt querfeldein. Vorbei an den kalten Grabsteinen und Kreuzen, die aussahen, als wären sie eingefroren.
Zweige kratzten wie gekrümmte Nägel über ihre Kleidung. Laub wischte daran entlang. Sie spürten die leichten Berührungen der Spinnweben, denn fast überall hingen die dünnen Netze zwischen Geäst und Blättern.
Die Jungen atmeten nur flach. Sie konzentrierten sich. Jeden Schritt setzten sie vorsichtig, aber sie konnten nie lautlos laufen. Immer knirschte oder raschelte es irgendwo. Normale Geräusche. Tagsüber längst nicht so deutlich zu hören wie in der Stille der Nacht.
»Johnny?« Mike hatte es nicht mehr aushalten können. Er mußte sich einfach bemerkbar machen.
Tim gefiel es nicht. Er hielt den Atem an. Worte steckten in seiner Kehle fest. Er traute sich nicht, sie auszusprechen. Die Furcht war zu mächtig geworden.
Johnny schwieg, als wäre er gar nicht da. Darauf hoffte Tim, aber die Hoffnung zerbrach, denn das Lachen - jetzt leiser - bewies ihm das Gegenteil.
Er war noch da. Und er wartete auf sie. Versteckt hinter einer Deckung, die als Buschreihe quer zu den Gräbern stand, nicht sehr hoch war, aber doch ziemlich dicht. Beide Jungen mußten dieses Hindernis erst überwinden. Tim ließ Mike dabei vorgehen, der ihm den Weg bahnte.
Dahinter lagen ebenfalls Gräber, die aber nicht mit so teuren Steinen geschmückt worden waren. Hier glich das Gelände eher einem Acker. Die Hecken waren völlig verschwunden. Dafür hatten die Bäume mehr Platz, um sich ausbreiten zu können. Sie standen dort wie mächtige Beine.
Groß und beherrschend.
Dafür hatten die beiden Jungen keinen Blick. Statt dessen sahen sie ihren Freund Johnny.
Er stand wie ein Feldherr zwischen zwei Gräbern auf einem sehr schmalen Pfad. Die rechte Hand hatte er auf das Griffende einer Spitzhacke gelegt. Deren Eisen steckte im Boden. Johnny wirkte wie ein junger Totengräber, der gerade eine Pause machte, seine Arbeit unterbrochen hatte.
Es gab kein künstliches Licht. Auch der Schein der Gestirne hielt sich zurück.
Trotzdem sahen Mike und Tim genug, um das Gruseln zu lernen.
Auf sie wirkte Johnny so fremd. Mehr wie ein düsterer Todesbote, trotz der helleren Gesichtshaut, die sich von dem dunklen Hintergrund ziemlich deutlich abhob.
Er sprach sie nicht an, aber er lächelte über die Gräber hinweg. Tim und Mike wußten nicht, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen war je mit einer derartigen Situation konfrontiert worden. Sie kamen damit einfach nicht zurecht.
Johnny nahm ihnen das Reden ab. »Toll, daß ihr gekommen seid. Finde ich echt gut.«
»Ja«, erwiderte Mike leise. »Wir sind jetzt hier.« Er holte Atem und suchte nach Worten, während Tim nur neben ihm stand und ihren gemeinsamen Freund und
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